Euroskeptiker: „Von dieser irrelevanten Zone abkoppeln“

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Euroskeptiker(c) AP (SANG TAN)
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Der Wortführer der konservativen Euroskeptiker, Douglas Carswell, ist überzeugt, dass Großbritannien im Weltmarkt mehr Chancen als im EU-Binnenmarkt hätte.

Die Presse: Glückwunsch nachträglich: Als EU-Bürger haben Sie kürzlich den Friedensnobelpreis gewonnen. Stolz drauf?

Douglas Carswell: Ich fand das ganz lustig, zeigt es doch, dass die Norweger einen guten Sinn für Humor haben.

Im Ernst: Verdient die EU nicht einen Preis dafür, dass in Europa nun seit Jahrzehnten Frieden herrscht?

Tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass eine Armee von Bürokraten in Brüssel der Grund ist, warum Deutschland Frankreich nicht besetzt hat. Der Grund ist, dass wir alle liberale Demokratien sind. Das Problem mit der EU ist: Sie ist ein Modell aus den 1950er-Jahren, diese Idee von Handelsblöcken und von einer technokratischen Elite, die ihre Vision davon, wie es laufen soll, allen anderen aufzwingt. Ein zutiefst überholtes Modell.

Neulich haben Sie gesagt, Britannien habe sich mit der Mitgliedschaft „an einen Leichnam gefesselt“. Aber viele Experten, auch euroskeptische und sogar Ihr Premier sind der Meinung, dass es Großbritannien in der EU besser geht als außerhalb.

Das ist die Meinung von David Cameron und wenn die Volksabstimmung kommt, haben Herr und Frau Cameron in der Downing Street zwei Stimmen. Ich glaube, sie liegen abgrundtief falsch.

Warum?

Im März dieses Jahres hat das Bruttosozialprodukt des Commonwealth, dieses riesigen Bereichs englischsprachiger Länder rund um den Globus, das Bruttosozialprodukt Europas übertroffen. Diese Länder wachsen schnell, während Europa stagniert. Wir müssen dahin, wo das Wachstum ist, wir müssen uns mehr der ganzen Welt öffnen. Wir sind viel zu lange hinter einer Mauer von Zöllen zwischen fünf und neun Prozent gesessen, höher als sie hier vor einem Jahrhundert waren. Wir müssen uns in die globale Wirtschaft einklinken und uns von dieser schrumpfenden, irrelevanten Zone abkoppeln.

Dann würden Sie außerhalb der Zollmauer sitzen – und müssten versuchen, wieder reinzukommen.

Kann schon passieren, dass die EU uns nach dem Austritt mit Strafzöllen belegt – worauf man sich fragen müsste, was zum Teufel man mit diesen Leuten zu tun haben will, wenn sie uns so behandeln.

Warum sollte die EU, wenn Sie ihr gerade die kalte Schulter gezeigt haben, bereit sein, die Beziehungen neu zu verhandeln?

Weil jene, die sie damit am meisten treffen würden, ihre eigenen Hersteller wären. Europa hat einen beachtlichen Handelsüberschuss mit uns, Strafzölle wären also nicht in Europas Interesse. Wenn die Schweiz, mit einem Zehntel unserer Bevölkerung, eine vorteilhafte Beziehung zur EU aufbauen kann, dann können wir das wohl auch.

Die Schweiz ist nicht gerade eine Weltmacht. Warum wollen Sie, dass Großbritannien eine unbedeutende Insel am Rande Europas wird?

Ich finde es schon ziemlich außergewöhnlich, dass Sie Selbstbestimmung als an den Rand drängen charakterisieren. Wovon stünden wir am Rand? Es gibt eine Explosion der Produktionsleistung rund um die Welt, weil Millionen Menschen, die früher nicht an der Weltwirtschaft beteiligt waren, nun auf die Märkte drängen. Die Idee, dass wir Teil eines Blocks namens Europa sein müssen, um auch daran teilzunehmen, ist doch absurd.

Sie haben kürzlich einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, wonach Regeln von 1972 zur Teilnahme am EU-Binnenmarkt außer Kraft gesetzt werden sollten. Nicht mal ein Dutzend Abgeordnete kam in die Sitzung – klingt nicht so, als ob viele diese Idee überhaupt der Rede wert finden.

Ich will die Prioritäten der politischen Elite nicht verteidigen, die lagen noch nie mit dem Volk auf einer Linie. Aber es gibt starke Anhaltspunkte dafür, dass es eine große Nachfrage für ein Rein-oder-raus-Referendum gibt und genauso starke Anhaltspunkte, dass die Mehrheit der Leute dafür stimmen würde, auszutreten.

Ihr Marschbefehl, wenn man so will, für David Cameron zum EU-Budget-Gipfel nächste Woche lautet: Entweder der Haushalt wird gesenkt oder er soll sein Veto einlegen. Haben Sie damit nicht seine Verhandlungsposition untergraben?

Nein, wir haben sie gestärkt. Man muss vor Verhandlungen die Grenzen festlegen, dann bekommt man eher, was man will, als wenn man sich von vornherein auf einen Kompromiss einstellt. Wir haben nur klargemacht: Hier geht es um das Geld des Volkes und die wollen der europäischen Elite keine 4,3 Milliarden Pfund zusätzlich rüberschieben.

Wird Großbritannien am Ende des Jahrzehnts noch EU-Mitglied sein?

Ich hoffe nicht. Und ich hoffe, dass, wenn wir uns aus diesen widerlichen Strukturen gelöst haben, auch andere Länder folgen werden. Im digitalen Zeitalter braucht man sich nicht von einer entrückten Elite regieren lassen, über die man keine Kontrolle hat.

Zur Person

Douglas Carswell (41), ist seit 2005 Abgeordneter für den Badeort Clacton-on-Sea in Essex, einer der britischen Wahlkreise, der Europa rein geografisch am nächsten liegt. Doch Carswell ist erklärter Europa-Hasser, gehört zur wachsenden Gruppe von konservativen Rebellen, die – anders als Parteiführung und Premier – nicht für neue Beziehungen mit der EU, sondern für den Austritt plädieren. [Archiv]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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