"Zeitung, unabhängig von der Fixierung auf Papier"

Zeitung unabhaengig Fixierung Papier
Zeitung unabhaengig Fixierung Papier(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Medienberater Johannes F. Reichert glaubt nicht an die Prophezeiung, dass Print 2034 ausstirbt. Journalisten rät er aber dringend zu Onlinekompetenz. Ein Gespräch mit der "Presse am Sonntag".

„Newsweek“ erscheint 2013 nur mehr online. „El País“ plant Massenentlassungen. Und die „Frankfurter Rundschau“ musste Insolvenz anmelden. Sollte ich mich als Printjournalistin besser umschulen lassen?

Johannes F. Reichert: Nein. Die Kernkompetenzen von Journalisten sind ja in allen Medien identisch. Mittlerweile vertritt auch niemand mehr die Idee des „Swiss Knife Journalist“, der alle Mediengattungen und Formate beherrscht. Aber Journalisten müssen schnittstellenkompatibel sein: in der Lage, andere Medien mitzudenken. Es geht um strukturelle Cross-Medialität: Nicht jeder muss alles können, sondern man braucht Strukturen, in denen jeder seine Stärken ausspielen kann. Und ich rate Journalisten, Kompetenzen für den Online-Sektor zu erwerben, weil das in zehn Jahren für die meisten das Hauptbeschäftigungsgebiet sein wird.

Gibt es Journalismus bald nur noch online?

Klaus Meier hat im „Lehrbuch Journalistik“ anhand deutscher Auflagenzahlen aus zwanzig Jahren errechnet, dass 2034 die letzte Printausgabe erscheint, wenn sich der Trend fortsetzt.

Sind Sie auch so pessimistisch?

Jedes Medium hat sich bisher behauptet. Aber die Position, die Print derzeit noch hat – bei Leuten unserer Generation, den „Digital Immigrants“ –, die wird es bei den Jüngeren nicht mehr kriegen. Ich kenne niemanden – weder aus den Verlagen, noch von den Theoretikern –, der ein Modell hat, wie Print als Papierform überleben kann.

Müssen wir also die Zeitung neu denken – als App oder Internetprodukt?

Jedenfalls unabhängig von der Fixierung auf Papier. Und man muss sich immer wieder die Frage des Nutzens stellen: Was hat der Kunde davon? Da liegt das Problem: Die Kernkompetenz der Tageszeitung waren aktuelle Nachrichten. Die hat sie komplett verloren – erst an den Hörfunk, dann ans Fernsehen, jetzt kommt der Angriff von Online. News kosten nichts mehr, wir werden davon so überschwemmt, dass sie zum Negativgut geworden sind.

Sollten Verlage also lieber Hintergrund, Analyse, Einordnung bieten?

Ich dachte auch, das wäre ein Mehrwert. Aber die, die das in Deutschland machen, schreiben Verluste. Und für jeden Euro, den Zeitungsverlage online verdienen, verlieren sie sieben Euro mit dem Printprodukt.

Manche stampfen deshalb die Printausgaben ein, um nur noch online zu erscheinen.

Das geht ja auch nicht mehr. Der Markt ist viel zu klein. Und wir haben neue Player. Früher finanzierten sich Zeitungen grob geschätzt 50 zu 50 aus Verkaufserlösen und Anzeigen. Heute sind nicht mehr die Online-Angebote der Tageszeitungen die wichtigsten Adressaten von Anzeigen, sondern große Player wie Google und Facebook.

Bleibt die Hoffnung auf Apps.

Das ist ein wunderschönes Spielzeug – aber es gibt kaum Verlage, die damit Gewinne erwirtschaften. Fast alle zahlen drauf, weil sie für die Apps Geld verlangen müssten und es viel zu wenig Menschen gibt, die bereit wären, dafür Geld auszugeben. Das iPad ist ja eine elitäre Veranstaltung. Das funktioniert für eine bestimmte Zielgruppe, aber nicht in der breiten Masse.

Bleibt nur die Hoffnung auf Mäzenatentum?

Wenn man sich die Eigentumsverhältnisse anschaut, ist es oft so: Man weiß, die Zeitung bringt Verluste, aber man will gern Verleger sein. In den USA gibt es außerdem Bürgerinitiativen, die Tageszeitungen mit Spenden finanzieren. Und man kann Journalismus, den man für notwendig hält, staatlich subventionieren – ob Print oder Online hängt von der Zielgruppe ab.

Johannes Friedrich Reichert ist Konvergenzberater und Geschäftsführer von Netzwerk Medientrainer. Er war vergangene Woche als Vortragender beim Forum Journalismus und Medien (fjum) Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2012)

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