Estibaliz C.: "Es gab keinen Ausweg"

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Die Spanierin Estibaliz C. tritt als reuige, schwache, ja verzweifelte Frau vor die Geschworenen. Sie bekennt sich schuldig, erzählt über ihre Mordfantasien und wundert sich, dass sie diese in die Tat umgesetzt hat.

Wien. Die diskrete Seitentür ist erst einen Spalt weit offen. Das genügt. Der Sturm bricht los. Ein beängstigendes Gewitter, grell ausgeleuchtet durch unbarmherzig in Stellung gebrachte Scheinwerfer und unablässiges Blitzlicht erfasst jene zierliche Person, die da von zwei Justizwachebeamtinnen in den Gerichtssaal geschoben wird. Da ist sie nun, im Auge des Orkans.

Estibaliz C. nähert sich mit unsicheren Schritten der hölzernen Anklagebank, setzt sich zögernd, senkt den Kopf. Eine blasse, zerbrechliche Figur, die ganz in der Rolle einer Büßerin auf ein Abflauen des Gewitters wartet. Mit dieser Szene beginnt am Montag im Grauen Haus die als Prozess des Jahres firmierende Verhandlung rund um zweifachen Männermord. Bluttaten, die laut Anklage (siehe Artikel unten)einem Stephen-King-Roman entstammen könnten.

Die frühere Eissalonbesitzerin hat in Barcelona Volkswirtschaft studiert. Und sie war dort verlobt. Doch ihr Partner habe ihren Herzenswunsch, die Gründung einer Familie, als „uncool“ abgetan. Schon damals habe sie sich gefangen gefühlt und erste Mordfantasien gehegt. Deshalb erzählt Estibaliz C. ihrer Richterin Susanne Lehr nun etwas von „Bremskabel durchschneiden“. Doch: „Zwischen Fantasien und dem Umsetzen liegt eine Welt dazwischen.“ Eine Welt, die später gleich zweimal durchmessen werden sollte.

„Auf der Flucht“ vor ihrem spanischen Verlobten sei sie nach Berlin ausgewandert. „Er konnte kein Deutsch, überall anders wäre er mir nachgekommen.“ In Berlin lernte C. ihren Holger kennen. „Ich habe mich in ihn verliebt.“ Schon dort arbeitete sie in einem Eissalon. Ihr Chef sei ein „Ausnutzer“ gewesen. Bei zwölfstündigen Diensten habe er ihr gesagt: „Trink weniger Wasser, dann musst du nicht so oft auf die Toilette gehen.“ Wieder seien diese Fantasien gekommen. Von einem „Kabelbrand“, durch den der Eissalon abbrennen sollte, ist nun die Rede.

29. Juni 2002: Die mit Sprachproblemen kämpfende Spanierin heiratet ihren Holger. Schon bald sei sie regelmäßig misshandelt und beschimpft worden. „Scheidung kam aber für mich nicht infrage“, haucht Estibaliz C. in einem überfüllten Schwurgerichtssaal. Das Interesse an der Verhandlung ist so groß, dass die Zuschauer auch auf den Rampen neben dem 200 Plätze fassenden Auditorium stehen.

Eine verhängnisvolle Affäre

Mit einem Bekannten übersiedelt das Berliner Paar nach Wien, wo es in Meidling jenen eher bescheidenen Eissalon eröffnet, dessen Keller später als wahres Gruselkabinett in die österreichische Kriminalgeschichte eingehen sollte. Die Ehe mit Holger H. sei immer schlechter geworden. „Du willst ein Kind haben, obwohl du nicht einmal das Essen warm machen kannst“ – Bemerkungen wie diese seien an der Tagesordnung gestanden, ja sogar rassistische Beschimpfungen habe sie sich gefallen lassen. Schließlich habe sie sich auf eine Affäre mit Manfred H., eingelassen, den sie als Vertreter im Eissalon kennengelernt hatte. Im November 2007 kam die Scheidung von Holger H. Dann der Tiefschlag: Zwei Wochen später wurde sie von Manfred H. verlassen. Zwar sei vorübergehend ein neuer Mann in ihr Leben getreten, doch habe sie immer noch mit Holger zusammen die Wohnung gehabt. „Es gab keinen Ausweg, ich war absolut hilflos. Ich habe gedacht, ich kriege mein Leben nie mehr zurück.“

Am 27. April 2008, nach einem Streit, habe sie die Pistole von Holger H. („Er war ein Waffennarr“) auf einem Regal erblickt. „Ich habe sie genommen und habe geschossen.“ Ihr Opfer wurde von hinten dreimal in den Kopf getroffen. „Ich dachte nicht, dass ich imstande sei, wirklich zu schießen.“ Holger H. saß vor seinem PC, als er tödlich getroffen wurde. So „saß“ er tagelang, ehe seine Leiche zersägt wurde. „Der Geruch war fürchterlich, fürchterlich, fürchterlich.“

Zwei wachsame Staranwälte

Vor sich ein Pult mit zwei Mikrofonen, einer Mineralwasserflasche und einer Packung Taschentücher erzählt die Angeklagte frei drauf los. Sie weicht nicht ab oder aus. Wachsam verfolgen die beiden Staranwälte Rudolf Mayer und Werner Tomanek, wie sich ihre offensichtlich gut vorbereitete Klientin vor großem Publikum „macht“.

Die zweite Tat: Manfred H. war nach besagter Affäre erneut in das Leben der Frau getreten. Doch eine Familie wollte er nicht gründen. Andere Frau habe er getroffen. Da waren sie wieder, die Mordfantasien. „Ich dachte, das kommt nie wieder vor, nie wieder.“ Nun hakt Richterin Susanne Lehr ein: „Sie haben doch schon Beton gekauft.“ C. hat auch dafür eine Erklärung. Sie habe gedacht, das mache sie stark genug, um Manfred verlassen zu können. Dem war offenbar nicht so. In der Nacht auf den 22. November 2010, wieder nach einem Streit („Er ist eingeschlafen und hat geschnarcht“), feuerte die Frau vier Schüsse auf den Kopf des Mannes ab. Sie zersägte die Leiche und betonierte die Teile so wie jene ihres ersten Opfers im Keller des Eissalons ein. „Ich war dann oft im Keller, da war Ruhe, da konnte ich meditieren.“

Heute, Dienstag, wird der Prozess fortgesetzt. Mit dem Urteil ist am Freitag zu rechnen.

„Sie wollten so etwas kein zweites Mal tun, hatten aber schon den Beton gekauft.“

Susanne Lehr, Vorsitzende des Richtersenats, zu Estibaliz C.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2012)

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