Ärzte mobilisieren gegen die Gesundheitsreform

aerzte mobilisieren gegen Gesundheitsreform
aerzte mobilisieren gegen Gesundheitsreform c EPA Helmut Fohringer
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"Zweiklassenmedizin": Die Ärztekammer rechnet mit gravierenden Einschnitten in der Patientenversorgung und droht mit "spürbaren Maßnahmen". Die Politik reagiert mit heftiger Kritik.

Wien. „Alles krank“ – diese beiden Worte waren am Mittwoch im Wiener Museumsquartier auf Buttons, Aufklebern und einer großen Leinwand zu lesen. Rund 500 Ärzte hatten sich unter diesem Motto zu einem Protestkonvent gegen die geplante Gesundheitsreform versammelt. Medienwirksam, wie gewohnt: Die meisten trugen weiße Kittel, und alle bedankten sich mit Standing Ovations, als Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger via Mikrofon die Schuldigen beim Namen nannte: Alois Stöger etwa, den Gesundheitsminister (SPÖ). Oder Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP).

Die Kritik richtete sich gegen die „Geheimverhandlungen“ zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen. Die Ärzteschaft fühlt sich ausgeschlossen und meint, den Grund dafür zu kennen: In Wahrheit handle es sich um „eine Finanz- und Organisationsreform“ mit schmerzhaften Folgen für die Patienten, wie Wechselberger und seine vier Stellvertreter bereits am Vormittag in einer Pressekonferenz moniert hatten. Denn die Kammerspitze glaubt nicht, dass die von der Regierung formulierten Sparziele im Gesundheitswesen – 3,4 Milliarden bis 2016, elf Milliarden bis 2020 – ohne Einschnitte in der Versorgung zu erreichen sind. Mit anderen Worten, jenen von Vizepräsident Karl Forstner: „Das wird in eine Zweiklassenmedizin münden.“

Weniger Kassenärzte, Spitalsschließungen

Konkret befürchten die Standesvertreter, dass es immer weniger Kassenärzte geben wird und wenn schon nicht ganze Spitäler, so zumindest Stationen geschlossen werden. Schon jetzt fehlten 1300 Stellen im niedergelassenen Bereich, erklärte Kurienobmann Johannes Steinhart. Es gebe große Defizite in der ambulanten Krebstherapie, bei der Behandlung von Adipositas, psychischen Leiden und Alkoholikern. „In Wien haben wir nicht einmal eine Kinderpsychiatrie.“

Die Forderungen der Ärzte? Dass die Patienten vom stationären in den – weitaus kostengünstigeren – niedergelassenen Bereich umgeleitet werden. Dass die Medizin nicht durch „zentralistische Organisationsgremien“ in ihrer Selbstverwaltung eingeschränkt und von Dokumentationspflichten entbunden wird. Und dass die Gesundheitsausgaben nicht an die Wirtschaft, sondern an den Bedarf gekoppelt werden.

Doch genau dort setzt die Reform an: Die Kosten für das Gesundheitssystem sind in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als das BIP. Das soll sich alsbald ändern, und zwar durch eine Systemänderung: Arztpraxen und Spitäler werden künftig gemeinsam von Bund, Ländern und Sozialversicherungen geplant und gesteuert. Bisher wurden die Patienten zwischen dem Einflussbereich der Länder (Spitäler) und jenem der Kassen (Ordinationen) hin- und hergeschickt. Den Steuerzahler kam und kommt das teuer zu stehen.

Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP), einer von sechs Reformverhandlern, verteidigte diesen Ansatz am Mittwoch und rügte die „reformunwilligen Beharrungskräfte, die ein leistungsfähiges Gesundheitssystem gefährden“. Damit gemeint: die Ärzte. Sie verbreiteten Falschinformationen, verunsicherten die Patienten und wagten dann auch noch zu behaupten, in deren Interesse zu handeln.

Die Ärztekammer beeindruckte die Kritik wenig bis gar nicht. In einer außerordentlichen Vollversammlung nach dem Protestkonvent einigte man sich auf die weitere Vorgangsweise: Am 5. Dezember werden die Patienten in Arztpraxen und auf der Straße über die Reformpläne informiert. Sollte der Gesundheitsminister dann immer noch nicht klein beigeben und die Forderungen der Ärzte erhören, würden Maßnahmen folgen, „die man spürt“, versprach Wechselberger. Sprich: Demonstrationen, „Dienst nach Vorschrift“ in den Spitälern und – nicht zuletzt – Ordinationsschließungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2012)

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