Sie wollen ans Fett der EU, specken aber selbst nicht ab

Die Debatte über das EU-Budget wirkt skurril. Natürlich kann Brüssel sparen, aber die Mitgliedstaaten müssten denselben Maßstab an ihre eigenen Verwaltungen anlegen.

Aus der Ferne gesehen ist es immer leicht zu sparen. Und wenn es die anderen trifft, dann geht die Argumentation besonders leicht von der Hand. Wer einmal betroffen ist, wird es dennoch kaum als Fortschritt sehen, sondern in erster Linie als Einschnitt.

Deutschland hat recht, dass in Griechenland gespart werden muss, um den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Aber Athen hat auch nicht ganz unrecht, wenn es mangels Investitionen und wegen sinkenden Konsums um seine Zukunft bangt. Tatsächlich kann es einen Aufschwung nur dann geben, wenn nicht nur gespart, sondern auch wieder investiert wird – bestenfalls in einem effizienteren, von Altlasten bereinigten Umfeld. Es gibt in der emotional geführten Debatte über Sparen versus Investieren keine eindimensionale Wahrheit. Deshalb bedarf es eines dialektischen Ansatzes, der von der Politik mit Überzeugungsarbeit statt mit dem Produzieren von vermeintlich Schuldigen begleitet werden muss.

So wie in der Krise im Großen ist es beim EU-Budget im Kleinen. Zweifellos kann und muss hier gespart werden. Aber es müssen die Dimensionen stimmen. Wenn der britische „Guardian“ dieser Tage gegen die unheimlich privilegierte EU-Beamtenschaft und ihre protzigen Neubauten in Brüssel vom Leder zieht, muss allen klar sein, dass es sich hier um sechs Prozent des Gemeinschaftshaushalts handelt. Ein Großteil davon geht noch dazu in den Übersetzerdienst. Der Rest aus dem EU-Budget – 94 Prozent – fließt in die Mitgliedsländer zurück. Es kann niemand Interesse daran haben, dass sich diese Verwaltung, die nicht größer ist als jene von Städten wie Köln, nur noch aus Billigpersonal zusammensetzt. Es braucht vielmehr die besten Köpfe, um Europa wirtschaftlich wieder attraktiv und zukunftsträchtig zu machen. Dass sich diese besten Köpfe nicht mit einem Verbot von Chanel Nr. 5, sondern mit einer Verbesserung des gemeinsamen Binnenmarkts auseinandersetzen müssen, ist hingegen zweifellos richtig.

Gespart werden muss in der europäischen Verwaltung vor allem dort, wo es viele nationale Regierungen nicht sehen wollen: zum Beispiel bei den Agenturen. Jedes EU-Land hat sich eine solche Agentur herausverhandelt – Österreich ist keine Ausnahme. Ihre Funktionen sind aber großteils so eingeschränkt, dass sie ihre Personalstärke nicht rechtfertigen können. Gespart werden kann natürlich auch beim Europaparlament, dessen zwei Amtssitze Jahr für Jahr Millionen Euro verschlingen.

Gespart werden kann zudem in der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik, etwa mit der verpflichtenden Einführung von Obergrenzen für große Agrarbetriebe. Da muss mitten in einem Krisenumfeld nicht bei Bergbauern gekürzt werden oder bei der zukunftsträchtigen Qualitätslandwirtschaft. Für die Agrarpolitik gibt die EU heute 40 Prozent ihres Budgets aus. Das ist für einen Bereich, in dem von 500 Millionen EU-Bürgern gerade einmal 3,7 Millionen beschäftigt sind, nicht mehr zu rechtfertigen.

Die meisten Ausgaben der Gemeinschaft fließen in die Strukturhilfen und sind hingegen durchaus begründbar. Denn damit sind Investitionen in Zukunftsbranchen möglich. Es liegt an den Mitgliedstaaten selbst, dieses Geld optimal einzusetzen und nicht jeder Gemeinde ein paar sinnlose neue Laternen, Brunnen oder esoterische Schaukästen zu finanzieren. Stattdessen ist es zweckmäßig, ein Hochleistungsinternet aufzubauen, Klein- und Mittelbetriebe bei der Umsetzung ihrer Ideen zu unterstützen oder Forschung, Entwicklung und Bildung zu verbessern.

Es ist absurd, wenn sich die Mitgliedstaaten bei diesem EU-Gipfel gebärden wie die knausrigsten Gutsherrn. Sie wollen an das Fett der Gemeinschaft, von dessen Kraft sie eigentlich schöpfen könnten. Sie selbst haben in den letzten Jahren ihre Staatshaushalte trotz Sparverpflichtungen deutlich angehoben. Ein Abspecken, wie sie es von Brüssel verlangen, hätte hier noch weit mehr Sinn. Österreichs Staat, der 53 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes kostet, steigert seine Ausgaben jährlich um fast drei Prozent. Der EU-Haushalt mit 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung steigt hingegen um 1,95 Prozent im Jahr.

Es ist eben so leicht, in der Ferne zu sparen.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2012)

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