Vespa-Fahrer Siegfried Nagl steht vor der dritten Amtszeit als Grazer Bürgermeister. Taktische Wenden und großspurige Ankündigungen gehören zum Programm. Ein Portrait.
Graz. Siegfried Nagl hat ein gutes Gespür dafür, was Wähler hören möchten. Der Grazer Bürgermeister (ÖVP) hat auch kein Problem damit, seine Position zu ändern, wenn er Gegenwind spürt. Siehe Umweltzone. Die hatte er zuerst mit den Grünen gefordert. Als die Aufregung unter Händlern der Grazer Altstadt und des Wirtschaftsbundes größer wurde, versuchte sich Nagl via Bürgerbefragung aus der Affäre zu ziehen.
Übermorgen, Sonntag, tritt Nagls ÖVP gegen immerhin zehn andere Listen bei der Grazer Gemeinderatswahl an. Nagl hat einen gut ausgeprägten Machtinstinkt, wie zahlreiche Politiker. Der Unterschied zu anderen ist: Er schafft es, bei seinen taktischen Kehrtwendungen glaubwürdig zu bleiben. Zumeist hat er das Claudia Babel zu verdanken. Jener Werberin, die dem 49-Jährigen vor der letzten Wahl 2008 ein neues, lockereres Image verpasst hatte.
„Bollwerk gegen die Türkei“
Bei Amtsantritt als Oberhaupt der steirischen Landeshauptstadt 2003 und während seiner ersten Amtsperiode wurde Nagl im besten Fall als werte-, im schlechteren als stockkonservativ beschrieben. Er leistete sich peinliche Aussagen zum Thema Homosexualität oder beschrieb Graz als „letztes Bollwerk gegen die Türkei“.
Konservativ ist Nagl auch 2012 noch, wenn auch mit einem liberalen Anstrich. Er tritt glaubwürdig für einen Ausbau der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung ein. Er hat sich mit den anderen Parteien für eine Verkleinerung des Gemeinderats eingesetzt.
Graz hat Nagl aber auch den Beinamen „Stadt der Verbote“ zu verdanken. Da wäre das Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen in der Altstadt oder rigide Regeln für Straßenmusikanten. Für Aufregung sorgte auch das Gebot, in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu telefonieren. Auch hat er homosexuellen Paaren die Möglichkeit einer Zeremonie im Trauungssaal des Grazer Rathauses verwehrt.
Beliebt ist Nagl dennoch. Von Freunden wird der passionierte Reiter und Vespa-Fahrer als Gentleman bezeichnet. Das Mitglied der Studentenverbindung Carolina entstammt einer bürgerlichen Kaufmannsfamilie. Das familieneigene Unternehmen, den Geschirrfachhandel Klammerth, hatte Nagl vor seiner politischen Karriere geleitet. Mit seiner Frau hat er vier Kinder. Wenn es seine Termine zulassen, geht Nagl täglich zum Mittagessen nach Hause.
Sorge um Mobilisierung
Um Wahlsieg Nummer drei einzufahren, wollte Claudia Babel Nagl ein Macherimage verpassen. Dazu passten die regelmäßigen Streitereien mit dem grünen Koalitionspartner nur bedingt. Babel, die Nagl die Schwarz-Grün-Koalition schmackhaft gemacht hat, war es auch, die das Ende des „Vorzeigeprojekts“ eingeleitet hat. Zumindest ist das aus Grazer ÖVP-Kreisen zu hören.
Der Wahlkampf um die dritte Periode als Bürgermeister hat Nagl Kritik eingebracht. Mit dem Slogan „Graz anders denken“ wollte er gesellschaftspolitische Themen diskutieren, so Nagl im „Presse“-Gespräch. Akzente außer einer Flut von Plakaten und Inseraten konnte er kaum setzen. Mit dem Ziel der absoluten Mehrheit versuchte er, seine Wähler zu mobilisieren.
Immer öfter wird er als Nachfolger von Vizelandeshauptmann Hermann Schützenhöfer ins Spiel gebracht, hin und wieder wird er gar in die Bundes-ÖVP gehievt. Doch Nagl ziert sich. Es wäre nicht das erste Mal, dass Siegfried Nagl seine Meinung geändert hätte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2012)