Adolf H. nimmt zweiten Anlauf

Trittsicher auf heiklem Terrain: Timur Vermes lässt in seinem Romandebüt, „Er ist wieder da“, einen wiederauferstehen, der keinem abgegangen ist. Quasi „Mein Kampf reloaded“ als Mediensatire.

Unfassbar! Dem Führerbefehl vom Frühling 1945, das Großdeutsche Reich vollkommen zu zerstören, um die Alliierten für ihren Sieg hart zu bestrafen, ist also nicht Folge geleistet worden. Das wird Herrn Adolf allmählich klar, als er Ende August 2011 mitten in Berlin auf einem unbebauten Grundstück in Wehrmachtsuniform nach langem Schlaf erwacht. Dafür wird er Martin Bormann zur Rechenschaft ziehen. Allein – wo ist Bormann? Das wissen auch die Buben nicht, die dann des Weges kommen, um Fußball zu spielen. Deren Anführer fragt der Führer nach einem Blick auf dessen Hemd: „Hitlerjunge Ronaldo! Wo geht es zur Straße?“ So beginnt Adolf Hitler sein zweites Buch, das ihm diesmal endlich den Weg zur Weltherrschaft ebnen soll – „Mein Kampf 2“ sozusagen. Manch Tierfreund wird hier sein Hitlerbild zurechtrücken müssen, weil des Ich-Erzählers erster Gedanke nicht Blondi galt. Sondern dem Moment, als er am Abend Eva seine alte Pistole eindringlich vor Augen führte. Folgen wir seinen weiteren Ausführungen.

Nicht Stahlmagnaten oder gelangweilte Society-Damen greifen ihm diesmal unter die Arme, ein Zeitungskioskbesitzer erbarmt sich des Streuners, der vergeblich nach seinem „Völkischen Beobachter“ lugt, um das aktuelle Datum zu erfahren. Türkische Blätter sind da sonder Zahl ausgehängt. Hat der Osmane endlich seine Neutralität aufgegeben und ist doch in den Krieg an der Seite Berlins eingetreten? Langsam führt der Trafikant den Zufallsgast an die Gegenwart heran, während Passanten neugierig fragen, ob der Typ von Stefan Raab, Hape Kerkeling oder Harald Schmidt sei. Aber es ist keiner der zahllosen Hitler-Darsteller in TV-Comedys, schon gar nicht Günter Wallraff – es ist Hitler himself.

Der „Zeitungskrämer“ lässt ihn im Kiosk einige Nächte schlafen, ermöglicht ihm Kontakte zu wichtigen Medienleuten und borgt ihm Ersatzkleidung. So kann der Führer seine Uniform in eine – ausgerechnet: türkische – Reinigung bringen und zwei TV-Produzenten der Firma Flashlight treffen, die von der totalen Gleichheit verblüfft sind. Ehe Hitler einen TV-Vertrag bekommt, wird er in ein nobles Hotel einquartiert. Dort macht er eine traumatische Erfahrung: Ein Gerät, das er für einen Kleiderständer hält, sei ein Fernseher, erfährt er. Als er den einschaltet, überkommt es ihn kalt: In diesem idealen Instrument für Massenpropaganda jagt eine Kochshow die andere, die einzige Ausnahme bilden trashige Talkshows.

Ein Anfang auf dem Weg nach oben ist gemacht: Adolf zwo bekommt eine Nebenrolle in der TV-Show eines türkischen Comedian, spielt diesen an die Wand, wird zum Star. Die Medien beginnen Jagd auf ihn zu machen, wollen Interviews, besonders das größte Boulevardblatt mit seinen erpresserischen Angeboten. Dann quält der bürokratische Kleinkram: Personalausweis, Steuernummer et cetera – das erledigt nun die TV-Firma statt des NS-Innenministers des Freistaates Braunschweig. Dazu gibt es schöne neue Dinge: „Walkürenritt“ als Handyklingelton, eigene Homepage („Führerhauptquartier“), E-Mail (Adresse: „Neue Reichskanzlei“) und einfach alles mit Computer. Besonders Wikipedia, dieses „Winterhilfswerk des Wissens“, hat es ihm angetan. Wer braucht da noch SA und SS?

Dennoch droht Ungemach: Der Anbiederungsversuch der herrschenden Clique (Ostfrau, Wackelpudding, Grüne und das Bürschchen) sind noch das kleinste Übel, zumal ihm die grünen Autarkiepläne im Energiebereich nicht unsympathisch erscheinen. Zwischendurch muss er mit den Erbschleichern in der NPD-Zentrale abrechnen. Ärgerlicher, dass selbst ernannte nationale Kader ihn mit „Schluss mit den Lügen, Türkenjude!“ beschimpfen und ihn viel später krankenhausreif prügeln. Schon wieder ein Opfer rechter Gewalt! Den schlimmsten Tag erlebt er ausgerechnet in der Stadt der Bewegung. Da er so überaus prominent geworden ist und einige im Lande bereits wieder den Deutschen Gruß beherrschen, wird er nach München zum Oktoberfest eingeladen. Neben älteren Damen im Dirndl ist auch Lothar samt Begleitung da – als Adolf zwo ihn und das Fräulein Tochter für die Partei gewinnen will, erfährt er ihren Namen: Frau Matthäus. Das Inferno steigert sich: Eine Dame mit südländischem Teint und vollem Dekolleté setzt sich auf seinen Schoß und spricht „in einer Tonhöhe jenseits aller mir bekannten Kreissägen“. Dann noch ihr Ex, „eine blonde Gestalt mit der Gesichtsfarbe eines Wiesenhendls“. Der Beschluss, Politiker zu werden, gerät nicht ins Wanken. Eine neue TV-Show und ein Buch – ebendieses – sollen ihn ans Ziel bringen. Plakate mit dem Slogan „Es war nicht alles schlecht“ sind schon im Druck.

Der deutsch-ungarische Journalist Timur Vermes hat das Objekt seines Spottes intensiv studiert und glänzt mit Exaktheit in Sprachduktus und Wortwahl. Bis auf eine Ausnahme: Zweimal verwendet Adolf zwo das heutige Wort „sensationell“. Unaufmerksamkeit des Lektorats oder ein subtiler Hinweis? Da hemmungsloser Aktionismus verstorbener Personen nur mehr den Texten Lotte Ingrischs zugestanden wird, bleibt die Frage: Wer ist dieser Ich-Erzähler wirklich? Eine Möglichkeit: In Spanien, wird berichtet, soll vor Jahrhunderten einer durch inflationäres Lesen von Ritterromanen dazu angestiftet worden sein, selbst mit Helm und Harnisch zwecks Bestehen von Abenteuern durch die Lande zu ziehen. Hat sich da vielleicht ein Historiker (Spezialgebiet NS-Zeit) auch psychologisch so sehr in den Gröfaz versenkt, dass dieser unerbittlich Platz in seinem Kopf eingenommen hat? Und kurz den Wärtern entwischt ist?

Eine famose Mediensatire, doppelt trittsicher: Sie überschreitet bei erwartbaren Versatzstücken aus dem NS-Fundus und zahlreichen neuen Gags nicht die Grenze zur Peinlichkeit und zielt exakt in die Weichteile einer Mediengesellschaft, die oberflächlich nach News giert, in ihrer sprachlichen Verkümmerung Bilder über Worte stellt, der psychischen Volkskrankheit Layautismus huldigt und die Frage nach Sinn und Inhalt verbissen vermeidet. ■





Timur Vermes
Er ist wieder da

Der Roman. 400S., geb., €19,90 (Bastei Lübbe Verlag, Köln)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2012)

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