Eine Entgiftung der gesamten Eurozone ist möglich

Finanz- und Schuldenkrise
Finanz- und Schuldenkrise c Dapd Joerg Koch
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Die Finanz- und Schuldenkrise braucht ein Bündel an Maßnahmen. Eine Lösung ist möglich, wenn Erleichterungen für die Sanierung von Haushalten mit wirtschaftlichen Stimulierungen einhergehen.

Nichts ist absolut sicher in dieser Krise. So auch nicht, wie sie gelöst werden kann. Aber es gibt, darüber sind sich Wirtschaftsexperten quer durch Europa einig, zumindest ein Bündel an Einzelmaßnahmen, die eine deutliche Verbesserung – wenn nicht sogar die Überwindung – bringen können.

Griechenland ist finanzierbar. Dass etwa der Problemfall Griechenland nicht gelöst werden kann, ist angesichts seiner Dimensionen unverständlich: Es wäre teuer, aber machbar, diesem Land so weit zu helfen, dass es sich wieder selbst finanzieren kann. 3,6 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aller 17 Euroländer wären notwendig, um Griechenland sämtliche Schulden zu erlassen (im Vergleich: Österreich gibt jährlich 53 Prozent seines BIPs für den Staat aus).

Athen muss weiter zu Reformen gedrängt werden. Allerdings muss dem Land gleichzeitig die Chance auf eine Regeneration eröffnet werden. Ähnliches gilt für Spanien. Portugal und Irland dürften es hingegen aus eigener Kraft schaffen.

Um die Sanierung zu beschleunigen, könnten die derzeit unverkäuflichen staatsnahen Betriebe in Krisenländern an eine den Euro-Partnern und privaten Investoren gehörende Holding verkauft werden. Im Gegenzug könnten Gelder für neue Investitionen in unternehmerische Projekte freigemacht werden. Nach einer Verbesserung der Lage würden die Firmen aus der Holding an private Interessenten verkauft – im besten Fall zu einem höheren Preis.

Um Athen wieder so weit zu bringen, dass es sich selbst finanzieren kann, ist laut IWF ein weiterer Schuldenschnitt notwendig. Der birgt freilich rechtliche Probleme, weil ein Gutteil der Staatsanleihen des Landes bei der Europäischen Zentralbank lagert. Die große Gefahr einer solchen Lösung ist laut Experten nicht die Inflation, sondern dass eine solche Maßnahme zum Selbstläufer für ausufernde Budgets anderer Staaten wird. Insoweit kann ein solcher Eingriff nur über eine verschärfte ständige Kontrolle der Haushalte durch eine zentrale Aufsicht – etwa einen EU-Finanzkommissar – geschehen.

Bad Bank für Staatsanleihen. Eine andere Option wäre, wenn die Euroländer den gemeinsamen Rettungsschirm in eine Bad Bank für giftige Staatsanleihen umwandelten. Hier würden alle unverkäuflichen Anleihen geparkt und könnten in langfristige – zum Beispiel 50-jährige – Schuldtitel umgewandelt werden. Damit ist für einen längeren Zeitraum der Druck weg. Grundlage eines breiten Lösungsansatzes für diese Krise, das machten 33 Wirtschaftswissenschaftler unter der Leitung von Wifo-Chef Karl Aiginger zuletzt deutlich, müsste sowieso ein ausgeweiteter Euro-Rettungsschirm sein, der zwar ein erhöhtes Haftungsrisiko birgt, aber das wackelige Euroschiff endlich ausreichend verankern würde.

Selbst wenn die Staaten für einen realistischen Abbau ihrer Schulden durch all diese Konstruktionen mehr Zeit erhalten, würden sie um Sparmaßnahmen und Reformen wie etwa im Pensionssystem nicht herumkommen. Nur ihr glaubwürdiger Wille dazu würde die Wirtschaft wieder in Gang bringen.

Schuldentilgungsfonds. Um Euroländer bei der Bewältigung ihrer Schuldenprobleme zu unterstützen, fordert Aigingers Expertenteam ebenso wie der deutsche Sachverständigenrat die Gründung eines Schuldentilgungsfonds. Seine Funktion ist einfach erklärt: In diesen Fonds würden alle Schulden, die ein Maß von 60 Prozent des BIPs übersteigen, übernommen und gemeinsam verzinst. Die Haftung soll über eine Kombination aus der jeweils nationalen Haftung mit Goldreserven und Staatseigentum sowie einer Gemeinschaftshaftung aller Teilnehmer gewährleistet werden. Um über diesen Fonds günstigere Zinsen zu erhalten, muss sich jedes Land verpflichten, seinen Schuldenanteil innerhalb von 25 Jahren abzubauen. Für Länder wie Italien würde dieses Modell überhaupt erst einen Schuldenabbau ermöglichen, weil derzeit die Finanzierung der Zinsen eine Tilgung faktisch unmöglich macht. Bedingung für diesen Lösungsansatz ist allerdings, dass die Haushalte der Euroländer wieder Überschüsse produzieren.

Letztlich läuft das gesamte Rettungssystem auf eine simple Überlegung hinaus: Wenn die akute Belastung der Staaten durch ihre Überschuldung reduziert werden kann, wird wieder Geld für Investitionen frei und es wird ein Wirtschaftsklima geschaffen, in dem private Investoren wieder eine stabile Ausgangslage finden. Springt die Wirtschaft an, können die Staaten wieder mehr Steuereinnahmen verbuchen und ihren Haushalt leichter sanieren.


Reform des Finanzmarkts. Um das abzusichern, ist neben einer konsequenten Reformpolitik der Euroländer eine Stabilisierung des Finanzmarkts notwendig. Klar ist, dass es eine Abwicklung von Banken geben muss, die zu einer Gefahr für das Finanzsystem werden. Es braucht aber auch neue Regeln und Kontrollen für Finanzgeschäfte. Denn es geht darum, der Realwirtschaft wieder höhere Priorität einzuräumen als spekulativen Geschäften. Finanzinstrumente wie Kreditausfallsversicherungen müssten wieder ihre ursprüngliche Rolle als Stabilisatoren einnehmen, anstatt als Spekulationsobjekt zu immer neuen Krisen beizutragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2012)

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