Sexuelle Belästigung ist Alltag

Sexuelle Belaestigung Alltag
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Ein Mann fasst einer Frau auf das Gesäß. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein, weil keine geschlechtliche Handlung vorliegt. Für Sozialarbeiterin Verena Vlach ein Skandal - und dennoch wenig überraschend.

Wo beginnt sexuelle Belästigung? Bei einer anzüglichen Bemerkung, obszönen Gesten, dem Griff auf den Po? Letzteres ist der 43-jährigen Eva Maria Hofstätter am 5.Oktober am helllichten Tag in der Grazer Innenstadt passiert. Ein ihr unbekannter Mann hält sie auf dem Fahrrad mit den Worten „Oh, Frau mit knackigem Po, darf ich mal anfassen?“ auf. Natürlich verneint die Bankangestellte. Der 37-jährige macht es trotzdem und fängt sich eine Ohrfeige ein. Und eine Anzeige wegen sexueller Belästigung.

Die Staatsanwaltschaft prüft den Fall und stellt das Verfahren zur großen Überraschung der Klägerin ein. Begründung: Da es zu keinen geschlechtlichen Handlungen kam, werde der objektive Tatbestand der sexuellen Belästigung nicht erfüllt. Schließlich sei das Gesäß kein Geschlechtsteil.

Für Verena Vlach von der Grazer Beratungsstelle Tara eine ungeheuerliche Argumentation. „Es ist ein Skandal zu behaupten, ,der knackige Po‘ sei kein Geschlechtsteil. Diese Aussage zeigt, in welcher patriarchalischen Gesellschaft wir leben“, sagt die Sozialarbeiterin und Sozialmanagerin. „Sexualisierte Gewalt beginnt da, wo Frauen auf ihren Körper reduziert werden und umfasst selbstverständlich auch sexistische Bemerkungen und ungewollte Berührungen.“

Die 41-Jährige blickt auf eine 20-jährige Berufserfahrung zurück und ist seit fünf Jahren Geschäftsführerin von Tara. Der Verein bietet Frauen, denen sexuelle Gewalt widerfahren ist, Beratung, Prozessbegleitung sowie Therapie an und ist Mitglied des Bundesverbands der autonomen Frauennotrufe Österreichs mit Anlaufstellen in Wien, Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck. In Graz werden rund 140 Frauen betreut. Jährlich wenden sich 70 bis 80 Frauen wegen sexueller Übergriffe an sie und ihre drei Mitarbeiterinnen.

„Oft sind es junge Frauen, die beim Weggehen begrapscht werden und unsicher sind, wie sie sich in so einer Situation verhalten sollen“, erzählt Vlach. „Für diese Mädchen stellen wir eine Art Regulativ dar, erklären ihnen, wie sie sich zur Wehr setzen können und dass sie solche Berührungen nicht zu tolerieren brauchen.“ Wichtig sei dabei nicht nur die Betreuung der betroffenen Frauen, sondern auch der Bezugspersonen. „Bei einem stabilen Umfeld können Frauen mit Übergriffen viel besser umgehen.“ Und sexualisierte Angriffe seien beileibe keine Seltenheit.

Tatsächlich ergab eine aktuelle Studie des österreichischen Instituts für Familienforschung, dass 74 Prozent der Frauen (und 27 Prozent der Männer) Opfer von sexueller Belästigung geworden sind. Und sie als bedrohlich und erniedrigend empfunden haben. Besonders interessant: Einer europaweiten Studie zufolge wird in Österreich nur eine von zehn Vergewaltigungen angezeigt. Und von 100 Anzeigen kommt es nur bei 30 Fällen zu einer Hauptverhandlung. Hier wiederum wird die Hälfte der Angeklagten verurteilt.


Fassungslosigkeit über Vorfall. Für Vlach keine Überraschung. „Leider gehört es zu unserem Arbeitsalltag, dass Verfahren wegen sexueller Belästigung – auch wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs – eingestellt werden“, beklagt sie. „Es verwundert daher nicht, dass die meisten Opfer von sexualisierter Gewalt keine Anzeige erstatten, und jene, die es doch tun, das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit verlieren.“ Vlach fordert alle Frauen auf, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich zur Wehr zu setzen, wenn Männer aufdringlich werden. „Frau Hofstätter gebührt großer Dank, an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Auch im Namen all jener Frauen, die ihrer Fassungslosigkeit über solche Vorfälle keinen Ausdruck verleihen können.“

Rückendeckung bekommt sie dabei von Sandra Frauenberger (SP), Wiener Stadträtin für Frauenfragen. „Die weibliche Sphäre ist zu respektieren“, so Frauenberger. „Frauen sollten sich durch diese Entscheidung der Grazer Staatsanwaltschaft nicht entmutigen lassen, Belästigungen anzuzeigen.“

Auch Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SP) kritisiert die „Verharmlosung“ solcher Übergriffe und fordert von Justizministerin Beatrix Karl (VP), das Gesetz „nachzuschärfen“. Dieser Fall zeige einen Handlungsbedarf auf. „Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt, sondern Gewalt an Frauen“, bekräftigt Heinisch-Hosek. „Es braucht eine klare Definition, wo sexuelle Belästigung beginnt.“


Karl sieht keinen Handlungsbedarf.
Ganz anders sieht das Karl. Für sie besteht kein Handlungsbedarf. „Derzeit sind keine gesetzlichen Änderungen in diesem Bereich angedacht“, lässt sie auf Anfrage ausrichten. Die Entscheidung der Grazer Staatsanwaltschaft sei zu akzeptieren, sie beruhe auf der „Interpretation der Höchstgerichte in früheren vergleichbaren Fällen“.

Eine Begründung, die bei Hofstätter verständnisloses Kopfschütteln auslöst. Sie fühlt sich sehr wohl belästigt und in ihrer sexuellen Integrität verletzt. Der Übergriff habe sie sogar derart mitgenommen, dass sie vier Wochen im Krankenstand gewesen sei und sich seither in psychologischer Behandlung befinde. Sie will nun die Entscheidung der Staatsanwaltschaft anfechten und auch zivilrechtlich gegen den Mann vorgehen. „Aber trotz allem bereue ich nicht, Anzeige erstattet und die Medien kontaktiert zu haben“, stellt sie fest.

Die ausschließlich positiven Reaktionen aus der Bevölkerung seien überwältigend gewesen. „Sowohl Frauen als auch Männer haben mir Mut zugesprochen. Daher rate ich jeder Betroffenen, sich nach einem derartigen Übergriff nicht zurückzuziehen, sondern vor Gericht zu ziehen und auch den Weg an die Öffentlichkeit zu suchen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2012)

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