Bergbau: Die Kumpel von und zu Waldenstein

Kumpel Waldenstein
Kumpel Waldenstein c Maxim Shipenkov EPA pictured Maxim Shipenkov
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In Bergwerken wird heutzutage vor allem maschinell gearbeitet, mit Schaufelbaggern und Lkw. Nur in Waldenstein in Kärnten greifen die Kumpel noch zu Spitzhacke und Schaufel. Ein Besuch in der Vergangenheit.

Für die meisten Menschen ist es noch tiefe Nacht, als sich die sechs Männer treffen. Links, im spartanisch eingerichteten Aufenthaltsraum des alten Verwaltungsgebäudes, das heute wenig anders aussieht als 1813, als es Johann Michael Offner erbauen ließ. Man spricht nicht viel, alles, was gesagt werden muss, wurde schon gesagt. Knapp vor sechs Uhr schalten die Männer ihre Stirnlampen ein, die mit einem dicken Akku am Gürtel verbunden sind, und gehen hinaus in die Dunkelheit. Ein Lichtstrahl nach dem anderen verschwindet langsam im Berg, wie als Abschiedsgruß an die Welt draußen hört man jedes Mal ein lautes „Glück auf“. Im Bergwerk Waldenstein hat ein neuer Arbeitstag begonnen.

„Des is a ganz normaler Job“, sagt Hannes Pams. „Andere gehen ins Büro, wir gehen halt in den Berg.“ Die Menschen sind recht nüchtern hier oben in den abgelegenen, kargen Seitentälern in Kärnten. Dabei gäbe es viele gute Gründe, poetisch zu sein: Die sieben Männer (einer hat heute frei), die in Waldenstein in der Nähe von Wolfsberg jeden Tag etwa zehn Tonnen Stein aus dem Berg schaffen, sind die letzten ihrer Art. Die letzten, echten Kumpel Österreichs, wahrscheinlich sogar Europas. In den meisten Bergwerken wird heutzutage mit großen Schaufelbaggern, mit computergesteuerten Bohrmaschinen und schweren Lastkraftwagen gearbeitet. Nicht hier in Kärnten. Hier greifen die Kumpel noch zu Spitzhacke und Schaufel. „Ich kenn kein anderes Bergwerk“, erklärt Herbert Kassl, der „Steiger“, der Betriebsleiter, „in dem noch so gearbeitet wird wie bei uns.“


120 Meter unter dem Berg. Der Stollen, in dem die Kumpel jeden Tag um sechs Uhr Früh verschwinden, führt tief in den Berg hinein. Er ist schmal, vielleicht zweieinhalb Meter breit, die Decke hängt knapp über dem Kopf, mit ausgestrecktem Arm kann man den kalten, nassen Stein berühren, der sich darüber 120 Meter hoch auftürmt. Der Gang ist aus dem Marmor und Gneis des Kärntner Bergs geschlagen, nur bei Verbindungsstollen stützen Holz- und Stahlkonstrukte das Gestein.

Es ist stockfinster, die kleine Besucherlampe hat nur Kraft für die nächsten paar Meter, dann verliert sich ihr Licht in der Finsternis. Wasser tropft von der Decke, sammelt sich auf dem Boden und bildet kleine Bäche. Die grellgelben Gummistiefel machen schmatzende Geräusche, der Schlamm ist an einigen Stellen knöcheltief und so dicht, dass es die Stiefel immer wieder über die Ferse zieht.

„Das kommt vom vielen Regen“, erklärt Kassl, und deutet auf den Schlamm. Ein, zwei Wochen braucht das Wasser, um bis zu den Stollen durchzusickern, doch dann rinnt es teilweise armdick aus dem Fels. Derzeit sind es etwa 15 Liter, die sich jede Sekunde in die drei Kilometer langen Gänge unter dem Berg ergießen. Das macht die Luft im Stollen schwer und feucht und lässt die etwa zehn Grad deutlich kühler erscheinen.


Dreieinhalb Kilo Sprengpaste. Kälte ist nicht das Problem der zwei Männer, die man am Ende eines Seitengangs mehr ahnen als tatsächlich sehen kann. Ihre Stirnlampen werfen ein mattes Licht, das vom dichten Staub der Luft reflektiert wird. „Bei der Arbeit wird dir schon g'scheit warm“, sagt Pams, und zeigt auf den Bohrhammer. 24 Kilogramm wiegt der. Gemeinsam mit einem Kumpel – man arbeitet immer in Zweierteams – bohrt er an diesem Tag Loch um Loch in die Felswand. Zwei Meter tief, dann wird das Loch mit 3,5 Kilogramm Sprengpaste gefüllt und die Zündschnur angezündet – „Brenndauer 121 Sekunden“, mahnt ein Schild in der Schwarzkaue (dem Umkleideraum für das Wechseln des dreckigen Gewands, Anm.). Danach wird zur Spitzhacke gegriffen und das lose Gestein von der Firste abgelautet.

Die händische Arbeit ist notwendig, um jenes Element rentabel aus dem Berg zu transportieren, das man im Strahl der Lampe glitzern sieht und für das Waldenstein weltberühmt ist (zumindest in einschlägigen Kreisen): Seit hunderten Jahren – manche Historiker datieren Spuren sogar auf das erste Jahrhundert vor Christus zurück – wird hier Eisenglimmer abgebaut. Früher verarbeitete man ihn zu Eisen, heute benötigt man das Erz zur Herstellung von hochwertigen Rostschutzfarben, die etwa bei Bohrinseln zum Einsatz kommen oder auch bei der Sydney Harbour Bridge verwendet wurden. Nur noch in der Türkei, im Iran und in Marokko wird der blättrigschuppige Eisenglimmer abgebaut, aber Waldenstein bestimmt den Weltmarkt: Mehr als 50 Prozent der jährlich weltweit etwa 10.000 verkauften Tonnen kommen aus Kärnten (das inkludiert den Eisenglimmer aus Marokko, wo die Kärntner Montanindustrie 23 Bergwerke betreibt, der ebenfalls hier verarbeitet wird).

Weil ein Erzgang im besten Fall eineinhalb Meter breit ist, kann man beim Abbau keine großen Maschinen einsetzen. Das würde zu viel Abfall, sprich nutzlosen Stein, bedeuten. „Als i ang'fangen hab“, erzählt Gerfried Strassnig, der bereits in dritter Generation als Bergmann in Waldenstein arbeitet, „hab'n wir den Stein noch mit Schaufeln in die Hund' g'laden.“ Das war nicht etwa in der Zeit, als Emile Zola in „Germinal“ unter anderem wegen solcher Arbeitsbedingungen die Bergarbeiter streiken ließ, sondern erst Mitte der 1980er-Jahre. 1500 Kilogramm fasst ein Hund – und damals hat sich keiner, der seine Sinne beieinander hatte, bei einem der vielen Zeltfeste in der Region mit einem aus Waldenstein angelegt.

Die große technische Revolution, eigentlich die einzige technische Revolution in dem kleinen Bergwerk in vielen Jahrzehnten, war die Anschaffung von drei Bobcats – kleine Radlader, die den Abtransport des herausgesprengten Steins erleichtern. Ihre Größe bestimmt seither die Breite der Stollen, früher war es noch enger hier.


Gute Bezahlung. Die Arbeit bleibt trotzdem hart. Bis 14 Uhr wird jeden Tag (freitags bis 12.30 Uhr) gebohrt, gesprengt und tonnenweise Stein in die Hunde geschafft, die aufgefädelt auf Gleisen stehen. „Die ersten zwei Wochen hat mir am Abend alles wehgetan“, erzählt der „Junior“ der Truppe, Wolfgang Zagerl. Damals war er 29 Jahre alt und nicht unbedingt verweichlicht: „Ich hab bei der Alpine im Kanalbau gearbeitet.“ Aber die Arbeit als Bergmann war schon noch eine Stufe härter, dafür aber auch deutlich besser bezahlt: Zwischen 2500 und 3000 Euro netto verdienen die Untertagekumpel pro Monat.

Heute, fünf Jahre später, lacht Zagerl nur noch, wenn man ihn nach der ständigen Dunkelheit fragt, der Feuchtigkeit, der Kälte und den Gefahren. „Wenn der Computer explodiert, bist a tot“, sagt er. Ob das nicht etwas unwahrscheinlicher sei, als ein Einsturz eines Stollens? „Na, der hält schon.“

Es sind harte Männer, und deswegen reden sie auch nicht offen über die Gefühle, die sie teilweise haben. Als 1998 beispielsweise das Unglück in Lassing passierte, als dort in der Steiermark zehn Mann eines Rettungsteams in der Grube verschüttet wurden und starben, „da hat ma dann schon a unguates G'fühl im Bauch, wenn man einfahrt“, erzählt einer.

Schlimmer war es 1991, als Waldenstein selbst unmittelbar betroffen war: Nach einer Sprengung in einem Stollen, als sich die zwei Kumpel gerade ans Ablauten machen wollten, brach ein tonnenschweres Stück aus der Decke und begrub einen Arbeiter unter sich. Er war auf der Stelle tot. Die Kumpel mussten seinen Körper erst mit Bohrern vom Fels befreien.


„Der Graf“. Das war das einzige große Unglück, seit „der Graf“ das Bergwerk führt. Jeder spricht nur vom „Grafen“ und meint damit Andreas Henckel von Donnersmarck (ein Cousin zweiten Grades des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck). Er ist der Geschäftsführer der Kärntner Montanindustrie (KMI), die ihren Firmensitz standesgemäß im Schloss Wolfsberg hat, das hoch über der Ortschaft thront. Seit 1851 ist das Bergwerk Waldenstein – mit kürzeren Unterbrechungen – im Besitz der schlesischen Adelsfamilie. Einmal erfolgreicher, einmal weniger erfolgreich.

1876 hatte man den Abbau von Eisenerz eingestellt, weil andere Abbau- und Verhüttungsmethoden einfacher waren. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte man die besonderen Rostschutzeigenschaften des Glimmers, und lässt ihn sich seither recht gut bezahlen: Für eine Tonne Eisenerz erhält man auf dem Weltmarkt etwa 100 Euro, für eine Tonne Eisenglimmer dagegen 700 Euro.

„Der Preis wird stabil bleiben oder vielleicht sogar noch steigen“, glaubt Jürgen Roth, technischer Direktor der KMI. „In den USA nimmt man heute noch immer in erster Linie Zink als Korrosionsschutz.“ Das ist nicht sonderlich umweltfreundlich, deshalb greife man auch dort verstärkt zu Eisenglimmer – und das wird garantieren, dass der Abbau in Waldenstein profitabel bleibt.


Nur ein par Stunden Tageslicht. 14 Uhr, die Schicht ist zu Ende, die Kumpel sehen erstmals Tageslicht. „Im Winter halt nur a paar Stund', aber des brauchst“, sagt Zagerl. Deshalb auch der frühe Arbeitsbeginn um sechs Uhr, sonst hätte man im Winter nicht einmal die paar Stunden Sonne.

Als sonderlich gläubig bezeichnen sich die sieben Kumpel nicht. Trotzdem wird kein Bergmann fehlen, wenn am 2. Dezember der Heiligen Barbara in der Kirche, die zum Bergwerk gehört und am Hang über dem Bach steht, gedacht wird (die Messe feiert übrigens ein weiterer Verwandter von Andreas, Altabt Gregor Henckel von Donnersmarck).

Dann tragen die Bergmänner ihren traditionellen Kittel mit den 29 Knöpfen, einer für jedes Lebensjahr der Barbara von Nikomedien. Die obersten drei Knöpfe bleiben offen, in Erinnerung an Barbaras drei Jahre in Gefangenschaft. Am Montag bleibt das Bergwerk zu, am 4. Dezember aber, dem eigentlichen Feiertag der Heiligen Barbara, wird wieder eingefahren.

FAKTEN

1352 wird erstmals von einem Hammerwerk in Waldenstein berichtet. Im 15. Jahrhundert ist die erste Blütezeit des Waldensteiner Bergbaus. Belege für den Abbau von Eisenerz in Kärnten führen bis ins erste Jahrhundert vor Christus zurück.

1761 kam der Bergbau in den Besitz der Grafen Schönborn.

1851 übernahmen die Grafen Henckel von Donnersmarck die Herrschaft Waldenstein. Heute gehört der zwischengeschalteten Kärntner Montanindustrie neben dem Bergwerk auch eine Forstwirtschaft und eine kleine Eventagentur, die das Schloss Wolfsberg vermarktet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2012)

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