Auch Zuschauer einer Tat sind Opfer

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Wolfgang Gappmayer analysierte Probleme rund um den „Opferbegriff“ in der österreichischen Strafprozessordnung: Ihm geht der derzeitige Opferbegriff nicht weit genug.

„Du Opfer!“ ist heutzutage unter Jugendlichen ein beliebtes Schimpfwort. Wolfgang Gappmayer hat sich dem „Opferbegriff“ aus wissenschaftlicher Sicht genähert und in seiner Dissertation (Uni Wien, Strafrecht, Betreuer Frank Höpfel und Udo Jesionek) aktuelle Probleme zum Opferbegriff in österreichischen Strafverfahren analysiert. „Früher hieß es ,der Geschädigte‘ oder ,Verletzte‘. Doch seit 2008 der Begriff ,Opfer‘ festgesetzt wurde, wird weniger der Schaden in den Vordergrund gesetzt. Nun hat man als Opfer eigene Rechte, und seine Rolle wird nicht auf die Zeugenaussage reduziert“, sagt Gappmayer. Das war eine gravierende Änderung im kriminalpolitischen Denken, weil die Schonung und der Schutz von Opfern Bedeutung bekamen. „Der Begriff umfasst direkte Opfer, also Menschen, die Gewalt oder Drohungen erfahren haben oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt wurden, sowie indirekte Opfer, das sind nahe Angehörige wie Geschwister und Lebenspartner von Getöteten“, erläutert Gappmayer. „Ich habe mich als im Vergabe- und Zollrecht tätiger Wirtschaftsjurist auch deshalb um die opferrechtlichen Belange gekümmert, weil ich überzeugt bin, dass jeder Jurist auch sozialpolitische Themen durchdenken sollte.“

Er hat in der Dissertation unter anderem die „Generalklausel“ der Strafprozessordnung analysiert, die besagt, dass alle Personen, die in ihren strafrechtlich geschützten Werten beeinträchtigt wurden oder Schaden erlitten haben, auch als Opfer gelten. „Hier gibt es viele Diskussionen, dass der Opferbegriff damit zu weit geht. Doch nach genauer Analyse der Rechtstheorie und der Gerichtsentscheidungen komme ich zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall ist.“ Vielmehr sei der Begriff eher zu eng. So sollten etwa auch dritte Personen einbezogen werden, also Menschen, die einen Mord oder andere schwere Straftaten aus nächster Nähe beobachten. Auch sie sind emotional belastet. Hier wären Politik und Gesetzgebung gefordert, gesetzliche Nachjustierungen vorzunehmen. Wichtig ist jedenfalls, dass trotz aller Sorge um die Opfer keine Rechte, v.a. nicht die Unschuldsvermutung des Angeklagten, missachtet werden: „Bisher ging man davon aus, dass Opferrechte nur so weit gehen, dass sie die Rechte des Beschuldigten nicht beschneiden. Meines Erachtens sind Opfer und Beschuldigter mittlerweile aber im Verfahren weitgehend gleichgestellt; im Konfliktfall ist dann jeweils abzuwägen, welche Rechte und wessen Schutz im Einzelfall gewichtiger sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2012)

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