Ratingagenturen haften für Fehlurteile

(c) EPA (OLIVER BERG)
  • Drucken

Brüssel legt den Bonitätsprüfern ab 2013 neue Fesseln an. Bei Fehlern drohen ihnen künftig Klagen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dürfen sie nur an drei Tagen im Jahr „unangemeldet“ bewerten.

Wien. Am Mittwoch senkte die Ratingagentur Fitch ihren Daumen über Argentinien. Zehn Jahre nach der Pleite stehe das Land erneut vor dem Bankrott. Grund dafür ist ein US-Urteil, wonach die Regierung ihren Geldgebern mehr zurückzahlen muss als gedacht. Mit einer Bewertung von CC ist Argentinien nur zwei Stufen von der Zahlungsunfähigkeit entfernt.

Solche Meldungen wollen sich EU-Staaten künftig ersparen – oder sie zumindest deutlich erschweren. Ab 2013 sollen die Bonitätsprüfer in der EU deutlich strengeren Regeln unterliegen, die am Mittwoch bekannt wurden. „Die Presse“ erklärt, was dann anders wird.

1 Was wird sich für die Ratingagenturen künftig ändern?

Sie dürfen Staatsanleihen von EU-Ländern künftig nicht mehr bewerten, wann sie wollen. Nur an drei Tagen im Jahr sollen „unaufgeforderte“ Einschätzungen der Kreditwürdigkeit erlaubt sein. Wollen sie Bewertungen außerhalb dieser Zeit ändern, brauchen sie triftige Gründe. Etwa, dass eine große Bank bankrottgehen würde. Veröffentlicht darf die Neubewertung von Staatsanleihen nur noch außerhalb der Handelszeiten an EU-Finanzmärkten werden, um hektische Reaktionen der Anleger zu vermeiden. Investoren sollen die Möglichkeit erhalten, Ratingagenturen für Fehlurteile zu klagen, wenn ihnen Missbrauch oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Auch die Beteiligungsstruktur wird reglementiert.

2 Warum wurden striktere Regeln notwendig?

Die Kritik an den Ratingagenturen ist breit: Mit den „Großen drei“, Standard & Poor's, Moody's und Fitch, gebe es kaum Wettbewerb. Bonitätsänderungen kämen zu früh oder zu spät. Immer aber zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, klagten etliche EU-Länder. Sie machen die Agenturen verantwortlich, mit teils unkorrekten Ratings von Staatsanleihen die Krise in der Eurozone noch verschärft zu haben.

3 Wie werden sich die neuen Auflagen auswirken?

Für Investoren ist vor allem die Möglichkeit interessant, Agenturen für falsche Ratings zu klagen. Vor allem dann, wenn sie nicht nur für zu schlechte, sondern auch für zu gute Ratings haften müssen. Der Finanzexperte Josef Zechner von der WU bezweifelt allerdings, dass dies rechtlich durchsetzbar ist. Erste Präzedenzfälle gibt es bereits: Vor wenigen Wochen verdonnerte ein Gericht in Australien S & P zu einer Millionenstrafe, weil die Agentur riskante Investments mit Höchstnoten bewertet hatte. Auch die Eigentümerstruktur könnte sich ändern. Künftig soll kein Einzelinvestor mehr als fünf Prozent an einer Ratingagentur halten. Betroffen wäre etwa US-Investor Warren Buffett. Er hält über die Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway 12,75 Prozent an Moody's.

4 Warum haben die „Großen drei“ so viel Macht?

Oft heißt es, ein schlechteres Rating bedeute höhere Zinsen auf Staatsanleihen und so höhere Kosten für neue Schulden. Doch das gilt kaum noch. Als Moody's vorige Woche Frankreich das Triple-A entzog, reagierten die Märkte so gut wie gar nicht. Die Agenturen bilden nur noch ab, was den Investoren ohnehin bekannt ist. Ganz neu ist diese Entwicklung nicht. Seit 1974 haben Anleger nach Bonitätsänderungen in 47 Prozent aller Fälle das Gegenteil dessen getan, was die Änderung impliziert hätte, errechnete Bloomberg. Um die Reaktion der Märkte auf eine Bonitätsänderung vorherzusagen, könnte man also genauso gut eine Münze werfen.

5 Welche Vorschriften für die Agenturen gibt es bereits?

Seit Mitte 2010 müssen sich Agenturen, die in Europa tätig sind, registrieren. Außerdem müssen sie die Lebensläufe ihrer Mitarbeiter einschicken und nachweisen, dass sie keine Aktien von den Unternehmen halten, die sie bewerten.

6 Wieso müssen Ratingagenturen bislang nicht haften?

Die Agenturen berufen sich bei ihren Urteilen auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Weil es sich nur um Meinungen handle, könne man nicht für Fehler verantwortlich gemacht werden. Dieses Credo wackelt: Eine New Yorker Richterin wies kürzlich einen Einspruch der „Großen drei“ zurück, der sich auf diese Argumentation stützte. Es handle sich um „faktenbasierte Meinung“, sagte die Richterin, und ließ eine Klage von 15 Großinvestoren gegen die Agenturen zu.

7 Was wurde aus der europäischen Ratingagentur?

In letzter Zeit wurde es still um das Projekt. Etliche private Initiativen arbeiten an einer Alternative. Auch die EU-Kommission will an der „europäischen Ratingagentur“ festhalten. Bis zur Geburt dürfte es allerdings noch dauern. Nächste Updates verspricht die EU für 2016.
? Leitartikel Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Leitartikel

Europas hilfloser Versuch, seine Probleme wegzuregulieren

Mehr Verantwortung der Ratingagenturen für falsche Bewertungen ist in Ordnung. Die wahre Intention der EU-Politiker wird sich damit glücklicherweise nicht erfüllen.
FILE USA EU ECONOMY RATINGS
International

Ratingagentur Fitch gibt Warnschuss auf Frankreich ab

Die Ratingagentur droht den Franzosen mit dem Verlust der Top-Bonität. Standard & Poor's und Moody's haben Paris die Bestnote bereits entzogen.
Argentinien Fitch senkt Kreditwuerdigkeit
International

Argentinien: Fitch senkt Kreditwürdigkeit um fünf Stufen

Ein US-Gerichtsurteil bringt das südamerikanische Land in Bedrängnis. Ein Zahlungsausfall Argentiniens sei wahrscheinlich, urteilt die Ratingagentur.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.