Kurznachrichten aus dem Redaktionsalltag

"Ich kann Sie nicht zurückrufen, ich bin tot." Kurznachrichten aus dem Redaktionsalltag.

Wer den Blick senkt, muss nicht schüchtern sein. Das lehrt der anglophile Musikjournalismus: „Shoegazing“ nennt man die Angewohnheit von Musikern, auf der Bühne scheinbar verlegen auf ihre Füße zu starren, während sie in Wahrheit die auf dem Boden stehenden Effektgeräte ihrer Gitarren bedienen. Inzwischen sind wir alle „shoegazer“ geworden. Die „Kultur des gesenkten Blicks“ nennt das Kollege Erich Kocina. Er hat sich diesmal mit Sara Gross und Doris Kraus dem 20-jährigen Jubiläum des SMS gewidmet.
Gut beobachten kann man den gesenkten Blick, der das Nebenbei-Tippen auf Mobiltelefonen verrät, in Redaktionskonferenzen. Neben dem raschen E-Mail-Check geht es dabei immer noch um das gute, alte SMS. Der Inhalt ist zum Großteil im eher faden Telegrammstil gehalten – zumindest, wenn man von sich auf andere schließen darf. (Bitte um Rückruf – Bin in Sitzung – In 20 min auch ok? – usw.), SMS-Ausnahmen von ärgerlich bis brisant bestätigen dabei die Regel.
Allerdings können berufliche SMS-Dialoge auch lustig sein. Vor allem die, die danebengehen: Auf diese Art kam etwa BZÖ-Politikerin Helene Partik-Pablé zu einer „romantischen, durchaus eindeutigen“ Botschaft von Kollegen N. Das SMS war für N.s Frau bestimmt. Kollegin J. wiederum würzt ihre SMS mit Bildungsbürgertum: Die Autokorrekturfunktion ergänzt „dich“ zu „Dichotomie“. Doch nicht nur wir machen Fehler: Korrespondent Oliver Grimm bekommt von einem Politiker seit Jahren (!) SMS-Kommentare zu Artikeln, die er nie geschrieben hat – seine Nummer bleibt trotz Reklamation unter dem Namen einer Kollegin eingespeichert. Den Preis für das seltsamste SMS räumt aber Duygu Özkan ab. Ein Interviewpartner (später stellte sich heraus, dass er gerade für den Marathon trainierte) schrieb ihr: „Ich kann Sie nicht zurückrufen, ich bin tot.“ Uw

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2012)

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