Erwin Thoma: Der mit den Bäumen spricht

Erwin Thoma in 'Stöckl am Samstag', 'Einfach glücklich - Was im Leben zählt.'
Erwin Thoma in 'Stöckl am Samstag', 'Einfach glücklich - Was im Leben zählt.'(c) ORF (Günther Pichlkostner)
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Als Erwin Thomas Kinder krank wurden, kurierte er sie mit Vollholz. Seither hat er eine Mission: die Welt von der Heilkraft des Waldes zu überzeugen. Immer mehr Leute glauben ihm.

Als sein ältester Sohn sechs Jahre alt wurde, musste Erwin Thoma sich von einem Traum verabschieden. Er lebte zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau und drei Kindern im hintersten Winkel des Karwendelgebirges, in einem Tal, das nur über Deutschland zu erreichen war. „Als Förster, mein Traumberuf“, sagt Thoma. „Der Wald war für mich immer eine besondere Welt. Die habe ich geliebt und verinnerlicht, und dort wollte ich mein Leben verbringen.“ Dann aber stand es Leben gegen Leben: Denn im Wald bleiben hieße auch, den ältesten Sohn mit Erreichung der Schulpflicht in ein Internat zu schicken.

Also zog die Familie schweren Herzens aus ihrem Holzhaus mitten im Wald in den Pongau, in ein modernes Einfamilienhaus. Allerdings nicht lange. Denn kurz darauf wurden beide Söhne krank. „Sie entwickelten eine Allergie gegen den Holzleim in den Spanplatten, eine Art Asthma und hatten so schwere Erstickungsanfälle, dass wir nicht wussten, wachen sie am nächsten Tag noch auf.“ Thoma reagierte prompt: Mutter und Kinder gingen im Sommer auf die Alm, in eine Holzhütte, Vater und Großvater rissen derweil im Tal jede Spanplatte heraus, die sie finden konnten, entsorgten sie im Sondermüll und ersetzten sie durch Massivholz. „Wir haben gehobelt, genagelt und gezimmert. Alles ganz einfach. Aber die Kinder wurden gesund.“

Natur sticht Fortschritt. Das war der Wendepunkt in Erwin Thomas Leben. „Dieses Erlebnis hat mein gesamtes Weltbild über den Haufen geworfen“, sagt Thoma, der ausgebildete Ingenieur, der bis dahin sicher gewesen war, dass man mit technischem Fortschritt jedes Problem lösen kann. „Doch genau das Gegenteil war der Fall: Es war die Besinnung auf die Natur, die das beste Ergebnis brachte. Diese Erkenntnis wurde meine Lebensaufgabe. Zuerst für meine Kinder, dann für alle anderen.“

Die Missionarstätigkeit erwies sich für den Holzunternehmer wider Willen als Glücksgriff, auch wirtschaftlich. Erwin Thomas Gebäude, die er mit 140 Mitarbeitern konzipiert und errichtet, stehen mittlerweile auf der ganzen Welt: Er baute eine Uni in Oslo und eine in Moskau, er baute die Residenz der königlichen Familie in Norwegen, und er baute viele Häuser in Japan, die die Katastrophe von Fukushima allesamt unbeschadet überstanden. Derzeit errichtet Thoma ein „Haus der Zukunft“ in Hamburg, das sich selbsttätig heizt und kühlt. „Untersuchungen der Medizin-Uni Graz haben gezeigt, dass der Mensch auf nicht kontaminiertes Vollholz sofort messbar reagiert: Puls und Herzschlag werden ruhiger, das vegetative Nervensystem wird gestärkt, die Tiefschlafphasen werden länger, der Schlaf insgesamt entspannter. Das hat die moderne Medizin bewiesen, das ist nicht Humbug oder Esoterik.“


Reizwort Esoterik. Womit Thoma bei seinem Reizwort angekommen wäre: der Esoterik. Als er vor Jahren mit der Theorie vom Mondholz an die Öffentlichkeit trat, wurde er umgehend in das nicht wissenschaftliche, unseriöse Eck gelacht. Sein Punkt war, dass das Holz je nach der Mondphase, in der es geschlagen wird, härter oder schädlingsresistenter ist. Dass diese These schließlich von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich in einer jahrelangen Studie nachgewiesen wurde, erfüllt Thoma sichtlich mit Stolz. „Die Bäume sind eine Metapher, in der sich das Ausleseverfahren der Natur über Jahrmillionen offenbart.“ Jeder, der bereit sei, zu verstehen, könne von ihnen lernen.

Was genau daraus zu lernen ist, beschreibt er in seinem Buch „Die geheime Sprache der Bäume – und wie die Wissenschaft sie entschlüsselt“, das es innerhalb kurzer Zeit in die Bestsellerlisten schaffte. Nicht überraschend, trifft Thoma doch genau den Nerv einer Zeit, die von ihrer eigenen Urwüchsigkeit, von Landleben und Selbstgemachtem derzeit gar nicht genug bekommen kann. „Wir haben einen unglaublichen Leidensdruck. Es wird immer klarer, dass wir so nicht weiterkommen. Die Wissenschaften verlieren immer mehr an Akzeptanz“, meint Thoma.

Kinderzimmer im Wald. Seine eigene Geschichte bürgt dabei für ihn – und zwar nicht erst, seit er seinen Kindern zuliebe ein Einfamilienhaus zerlegte. Der mittlere von fünf Buben wuchs in Bruck an der Glocknerstraße auf, sein Kinderzimmer war der Wald: „Mit einer Freiheit, einer Wildheit, das gibt's heute gar nicht mehr, nicht einmal auf dem Land.“ Holz war allgegenwärtig, auch als Werkstoff, Wissen wurde vom Großvater und vom Vater an die Buben weitergegeben: „Damals war diese Welt noch wirklich, kurz darauf gab es sie nur noch im Museum.“

Aus diesem will Thoma sie herausholen. Bäume sind für ihn nicht nur ein Baustoff voller Überraschungen – Massivholz ist ab einer Dicke von 20 Zentimetern dicht gegen Hochfrequenz und damit abhörsicher, sagt er – und eine medizinische Fundgrube (Tannenwipfelsirup, Lindenblütentee). Bäume sind für ihn wie Familienmitglieder mit Eigenheiten, die nur darauf warten, genutzt zu werden. „Bergahorn für Ruhe und Entspannung, Birke für Kreativität, Zirbe oder Fichte für Orte, an denen Leute zusammenkommen.“ Wer's wissen will, kann am Küchentisch Erwin Thomas These überprüfen, dass Bäume Menschen etwas zu sagen haben. Alle anderen können sich einfach über einen schönen Tisch freuen.

Steckbrief

1962
in Bruck an der Glocknerstraße geboren, aufgewachsen mit vier Brüdern.

In den 1980er-Jahren
übersiedelt Thoma mit seiner Familie in den Pongau, zwei Söhne entwickeln Allergien gegen den Holzleim in Spanplatten.

Vollholzbau
wird daraufhin Thomas Mission und später auch sein Gewerbe.

1999
registriert Thoma das Weltpatent, um Häuser zu 100 Prozent aus Holz zu bauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2012)

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