Mittelerde, gestochen scharf

"Der Hobbit"(c) James Fisher/Warner
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Peter Jacksons "Hobbit" ist eine mit Pathos und Humor aufgeladene Symphonie. In die Filmgeschichte eingehen wird er nur wegen seiner technischen Pionierarbeit.

Am Anfang war das Feuer. Und das flackert in diesem Film wie in keinem anderen zuvor. Bevor man sich inhaltlich mit Peter Jacksons Adaption von J.R.R. Tolkiens Buchvorlage auseinandersetzt, muss man wissen, dass „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ – rein technisch gesehen – filmisches Neuland erobert. Es ist der erste Digitalfilm, der nicht mit konventionellen 24 Bildern pro Sekunde aufgenommen worden ist, sondern mit dem Doppelten davon.

Das heißt in jeder Filmsekunde prallen zweimal so viele Bildinformationen auf das menschliche Auge. Das Ergebnis muss als formästhetische Zäsur der Filmkunst betrachtet werden, als radikale Veränderung in der Art, wie wir Filme sehen und was wir auf der Leinwand als Realität akzeptieren. Das eingangs erwähnte Feuer flackert und bewegt sich geschmeidig und schnell und bleibt durchgehend detailliert und gestochen scharf. Kennt man nur die bisherigen Filmfeuer, tut man sich schwer, das als Realität zu akzeptieren. Und so sorgt der Hyperrealismus beim „Hobbit“ für einen paradoxen Effekt: Er wirkt weit surrealer und fantastischer als die – um beim Thema zu bleiben: halb so wirkliche – „Herr der Ringe“-Trilogie, will aber atmosphärisch nahtlos daran anschließen.

Hobbit-Höhlen in 3-D

Jackson startet sein dreistündiges Epos mit einer geschickten Variation auf die Eröffnung von „Die Gefährten“: Diesmal wölben sich die runden Hobbit-Höhlen dem Publikum in 3-D-Bildern entgegen, die Filmmusik von Howard Shore greift Leitmotive der Originalfilme auf und erweitert sie. Jackson will dem Publikum einen bruchlosen Wiedereinstieg in die von ihm so ikonisch entworfene Welt von Mittelerde ermöglichen.

Ein alter Bilbo Beutlin (ein Gastauftritt von Ian Holm) liest aus den Aufzeichnungen seiner Abenteuer und erzählt davon, wie der Drache Smaug die gewaltige unterirdische Stadt Erebor vernichtet hat, um die vom König der dort beheimateten Zwerge angehäuften Schätze zu stehlen. Nachdem er das Buch zuschlägt, trifft er auf seinen Neffen Frodo (ebenfalls nur zu Gast: Elijah Wood), der sich aufmacht, den Zauberer Gandalf (wieder in einer Hauptrolle: Ian McKellen) zu treffen. Eine Begegnung, die am Anfang von „Der Herr der Ringe: Die Gefährten“ steht.

Bilbo hingegen hat schon sechzig Jahre zuvor ein gewaltiges Abenteuer erlebt, das im Zentrum von „Hobbit“ steht. Eines Abends im Auenland fallen dreizehn Zwerge, angeführt von Thorin Eichenschild (Richard Armitage) in sein Haus ein. Der nacheilende Gandalf klärt den Hobbit (jetzt dargestellt von Martin Freeman) auf, dass er ihn auserkoren hat, die in seiner Küche hockenden, singenden und rülpsenden Kerle auf einer Reise zu begleiten. Es sei an der Zeit, dass die Überlebenden des Zwergengenozids in ihre Heimat zurückkehren, den Drachen Smaug besiegen und ihre Reichtümer zurückerhielten. Jackson nimmt sich viel Zeit, um seinen Figuren Kontur und Charakter zu geben: Erst nach einer guten Stunde setzt sich der Trupp in Bewegung, wird fast von Trollen verspeist, von Goblins auf gewaltigen Wölfen, den sogenannten Wargen, verfolgt und schließlich in deren unterirdisches Reich im Nebelgebirge verschleppt. Dort kommt es zu einem Schlüsselmoment in Tolkiens Mittelerde-Saga: Der vom Rest der Abenteurer getrennte Bilbo findet einen Höhlensee und trifft dort auf die Kreatur Gollum (Andy Serkis), von der er schließlich jenen Ring stiehlt, um den sich im „Herr der Ringe“ alles dreht.

Ausgefuchstes Mittelerde

Wie schon in der Originaltrilogie inszeniert Jackson hyperkinetisch: Die digitale Kamera fliegt durch Abgründe, gleitet über weite Felder und gewaltige Gipfel. Dass sein bis ins kleinste Detail ausgefuchstes Mittelerde dennoch wie ein stereoskopisches Gemälde wirkt, das trotz all der frenetischen Bewegung stillzustehen scheint, verwundert kaum. Jackson ist ein Weltenbauer: Darin hat alles seinen Platz, hat jeder seine Funktion. Überraschungen sind unerwünscht.

Was zählt, ist aber ohnehin die Gesamtkomposition. „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ ist eine mit Pathos und Humor aufgeladene Symphonie, vollgestopft mit kreatürlicher und geografischer Fantasterei und gebaut um einen unwahrscheinlichen Helden. In die Filmgeschichte eingehen wird er aber wohl aufgrund seiner technischen Pionierarbeit. Denn vielleicht sieht man im gestochen scharfen „Hobbit“ die Zukunft des Kinos. Oder zumindest das Ende von dem, was man bisher damit verbunden hat. Und das ist tatsächlich eine unerwartete Reise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2012)

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