Wege aus EU-Krise: Schritte zurück führen in den Schrebergarten

2012 hat sich Europa zwar stabilisiert, verharrt aber in der Rezession. Eine Zukunftsstrategie für die EU ist längst überfällig

Morgen gibt es wieder einen EU-Gipfel. Zwei Entwürfe liegen auf dem Tisch: der „Blueprint“ der Kommission von José Manuel Barroso und die „Roadmap“ des Rates von Herman Van Rompuy. Schon dass es zwei Papiere gibt, offenbart ein Lenkungsproblem.

Dass die Regierenden mit Blick auf ihre nationale Klientel einen dritten Entwurf verfassen, macht die Governance-Misere noch deutlicher. Und eigentlich bräuchten wir einen vierten Entwurf, wenn Europa auf einen neuen Kurs gebracht werden sollte. Denn sowohl der „Blueprint“ als auch die „Roadmap“ haben blinde Stellen.

Dabei ist die EU ein Erfolgsmodell. Doch die Strukturen passen nicht mehr – weder für eine gemeinsame Währung noch für die globalisierte Welt. Nur, Schritte zurück wären fatal, Kerneuropa wäre ein Schrebergarten mit niedrigem Wachstum, sinkender Bedeutung, Österreich wäre wieder Grenzland. Der Austritt jedes Landes würde Spekulationen über den Zerfall fördern und Verluste gerade für Deutschland und Österreich bringen, die von der EU-Erweiterung profitiert haben.

Vier Säulen einer Strategie

Eine Zukunftsstrategie müsste auf vier Säulen beruhen. Keine darf fehlen, denn sonst stürzt das Gebäude ein:
Erstens: kurzfristige Stabilisierung. Die Feuerwehr hat 2012 funktioniert. Spät, aber doch glauben die Finanzmärkte an Zinsstabilisierung durch die EZB. Es braucht noch einen Schuldenschnitt für Griechenland (und Portugal) und die Vergrößerung des ESM, damit er auch Frankreich und Italien auffangen und die Banken rekapitalisieren kann.
Zweitens: mittelfristige Krisensicherheit. Wenn wieder Krisen kommen, muss Europa besser aufgestellt sein, damit es nicht die Grippe bekommt, wenn die USA ein Schnupfen plagen. Das erfordert eine teilweise Vergemeinschaftung der Schulden, durch Eurobonds oder Schuldentilgungsfonds und einen Stabilisierungsmechanismus, der in Kraft tritt, wenn es in einem Land Probleme gibt.

Eine positive Vision

Drittens: Änderung der Kommunikationsstrategie. Ziele der Politik sind Wachstum, Beschäftigung und Nachhaltigkeit. Eine positive Vision verändert nicht nur die Stimmung, sondern auch die Konsolidierungsprogramme. Dann werden Bildung und Innovation gefördert, Bürokratie und Militär hingegen gekürzt.
Viertens: Wachstum und Beschäftigung forcieren. Europa darf nicht die schwächste Region bleiben, mit zweistelliger Arbeitslosigkeit. Ökologie und soziale Innovation sind Wachstumsfaktoren neben Bildung, Integration von Migranten. Die ersten Einnahmen der Finanztransaktionssteuer sollen Investitionen beleben, später sollen sie Steuern auf Arbeit senken.

Ein wenig davon steht im Barroso-Papier, vorsichtig werden für später Eurobonds angekündigt. An der Bankenunion wird gearbeitet. Van Rompuy strebt erst in der zweiten Stufe Wachstum an.

Wichtige Punkte fehlen: Die Verantwortung der Überschussländer wird nicht angesprochen, es gibt keine Obergrenzen für Einkommensunterschiede; keine Erwähnung, wie Umwelttechnologien Beschäftigung und Klimaziele erreichen helfen, wie Technologietransfer Ungleichgewichte reduzieren kann. 2012 hat sich Europa stabilisiert, ist aber in der Rezession und nicht zukunftsorientiert. Beim Gipfel ist ein Zukunftsplan gefordert, kein Aufschub der Probleme. Wenig Trost, dass auch Rom nicht an einem Tag erbaut worden sein soll. Mehr Mut und Vision wären wichtig. Jetzt.

Karl Aiginger ist Direktor des Wifo und Koordinator von 32 Partnerinstituten im FP7-Projekt der EU „Ein neuer Wachstumspfad für Europa“ WWWforEurope.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2012)

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