Die Wirtschaftskrise beginnt sich in einigen europäischen Ländern auch negativ auf die Demokratiequalität auszuwirken. In Südamerika und einigen ostafrikanischen Staaten verbessert sich die Lage kontinuierlich.
Despoten, die sich jahrzehntelang an der Macht festgekrallt hatten, wurden gestürzt; auf Druck zehntausender Menschen, die von Tunesien bis Ägypten auf die Straßen gingen, aber auch, weil Teile der ehemaligen Regime die Seiten wechselten. Doch noch ist unklar, ob diese Umbrüche in einigen arabischen Ländern langfristig zu mehr Freiheit führen, das zeigt gerade die fragile Lage in Ägypten. In Syrien setzten die Herrschenden auf Gewalt, um den Aufstand zu unterdrücken und in Ländern wie Russland ziehen die Machthaber die Schraube weiter an. Zugleich schlitterten EU-Staaten wie Griechenland immer tiefer in die Wirtschaftskrise und werden von einer Welle von Protesten überrollt.
Wie haben sich Freiheit und Demokratie weiterentwickelt und welchen Einfluss hat die weltweite Wirtschaftskrise? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das „Demokratie-Ranking 2012“. Die brandneue Studie vergleicht den Zeitraum 2007/2008 mit 2010/2011. Erstellt wurde sie von einer von Wien ausgehenden Initiative von Wissenschaftlern rund um Christa Pölzlbauer und David Campbell, der an der Universität Klagenfurt und der Uni für anwandte Kunst in Wien arbeitet. In der Rangliste wird die Situation in 104 Ländern untersucht: Staaten, die laut „Freedom House“ als „frei“ und „teilweise frei“ gelten und ausgewählte „unfreie“ Länder. Gewertet wird mit einer Kombination von politischen Faktoren (50 Prozent) und Faktoren wie wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.
Schlusslichter der Demokratie-Rangliste sind Staaten wie Haiti, China, Syrien und der Jemen (siehe Grafik). Im Spitzenfeld befinden sich wie schon in den Jahren zuvor die Skandinavier, die Schweiz, Niederlande, Neuseeland, Deutschland, Irland und Österreich. Mit Platz zehn schaffte es Österreich erstmals unter die Top Ten. Es gewann bei den politischen Indikatoren wie Gleichstellung von Mann und Frau dazu, verlor aber bei Umweltschutz und Korruption.
„Zentrifugalkräfte“ in Europa
Betrachtete man die Gesamtentwicklung, so hat sich die Demokratiequalität weltweit im Schnitt verbessert. Geht man ins Detail, ergibt sich ein gemischtes Bild: In einigen Staaten kam es zu deutlichen Verbesserungen; in anderen – auch europäischen – Ländern verschlechterte sich die Situation. „Die größten Zentrifugalkräfte kann man in Europa feststellen“, berichtet Campbell. Während skandinavische Länder seit Jahren stabile positive Werte haben, sind in Staaten wie Ungarn, Lettland und Griechenland Rückschritte zu verzeichnen.
Ungarn etwa hat nicht nur wegen der schlechten Wirtschaftsentwicklung verloren. Es hat sich auch – wie Campbell sagt – in Demokratiekernbereichen verschlechtert, wie politische Rechte und Meinungsfreiheit. In Budapest war zuletzt Premier Viktor Orbán mit dem Vorwurf konfrontiert worden, seine Regierung entwickle zunehmend autoritäre Züge. Griechenland stürzte in der Rangliste wegen des Wirtschaftseinbruchs ab. Es erzielte aber auch bei politischen Rechten schlechtere Werte als zuvor. In Ländern, in denen es ökonomisch bergab gehe, verschlechtere sich auch die demokratiepolitische Situation, so Campbell. Gegenbeispiel sei Irland, wo trotz Krise die Qualität des politischen Systems sogar zugenommen habe.

Aufsteiger Kenia und Bangladesch
Eine langjährige stabile positive Entwicklungen ist in Südamerika festzustellen. Länder wie Brasilien verfügen laut Studie mittlerweile über ein gleich hohes Ausmaß an Demokratie wie Teile Ost- und Südeuropas. Verbesserungen gab es auch in Indien, dem mehrheitlich muslimischen Bangladesch und einigen Ländern Ostafrikas. So hat etwa Kenia im wirtschaftlichen Bereich und bei politischen Rechten dazugewonnen.
Auch der sogenannte Arabische Frühling hat Spuren hinterlassen: In Tunesien und Libyen verbesserten sich die Demokratiewerte deutlich. Das geschah aber von einem niedrigen Niveau aus. Während etwa „Absteiger“ Ungarn in der Gesamtrangliste immer noch auf Platz 36 liegt, befindet sich „Aufsteiger“ Libyen nur auf Platz 102. Im Kampf um Demokratie ist noch viel zu tun.
Gesamte Studie: www.democracyranking.org
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2012)