Historienmaler Hellsberg

Den Philharmoniker-Vorstand für die Aufarbeitung der NS-Zeit zu loben ist ein Treppenwitz der Musikgeschichte.

Es musste streng geheim bleiben. Kurz nach seiner Entlassung aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Spandau am 30.September 1966 erhielt der ehemalige Wiener Gauleiter Baldur von Schirach Besuch von einem „geheimen Emissär der Wiener Philharmoniker“. Zweck des Besuchs: Schirach, der die Deportation von bis zu 185.000 österreichischen Juden als „Beitrag zur europäischen Kultur“ bezeichnet hatte, erhielt den Ehrenring des österreichischen Staatsorchesters.

Diese Episode fehlt im Buch über die Philharmoniker, mit der deren heutiger Vorstand, Clemens Hellsberg, 1992 bekannt geworden ist. Das erstaunt, zog doch bis 1967 mit NSDAP-Mitglied Otto Strasser der große Förderer Hellsbergs bei den Philharmonikern die Fäden – als Ehrenvorstand auch danach.

Hellsberg erhielt heuer von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien die Friedrich-Torberg-Medaille. Wofür? Ihm sei mit seiner Geschichte der Philharmoniker die „Initiierung der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ gelungen. Er selbst betont, er habe über „150 Jahre (...) und nicht über 143“ geschrieben. Hat er? Nein, Hellbergs Buch hat mit kritischer Aufarbeitung der Geschichte nichts zu tun. Seine Philharmoniker-Geschichte verschweigt Unangenehmes und gibt Fakten falsch wieder.

Kritik ist „absurd und infam“

So ist die Darstellung der Ursprünge des Neujahrskonzertes falsch. Hellsberg verkauft es als Produkt einer „musiksoziologischen Entwicklung“, deren Ursprung im Jahr 1921 liege und „nichts mit der NS-Ideologie“ zu tun habe. Der Historiker Fritz Trümpi hat nachgewiesen: Das Neujahrskonzert ist eine Erfindung der Nazis. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle von Dirigenten wie Clemens Krauss oder Herbert von Karajan in der NS-Zeit findet sich bei Hellsberg ebenso wenig wie die Tatsache, dass noch viele Jahre nach dem Krieg Konzerte im Ausland von Protesten gegen das „Nazi-Orchester“ begleitet waren.

Hellsberg für die Aufarbeitung der NS-Zeit zu loben ist ein Treppenwitz der Musikgeschichte. Er verhindert bis heute den freien Zugang zum Vereinsarchiv und steht seit Jahren in der Kritik von Historikern. Hellsberg nennt die Kritik an ihm „absurd und infam“.

Viele sind gefordert: Der Direktor der Staatsoper etwa und die IKG. Aber auch von Ioan Holender darf man erwarten, dass er über seine Erfahrungen mit Hellsberg redet. Immerhin war er es, der 2008 mit einer Ausstellung die konsequente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Oper begonnen hat.

Das soll keinen Schatten auf den jährlichen Kulturgenuss von Millionen Menschen werfen. Doch Fakten zu verschweigen und Geschichte umzudichten ist nicht zu akzeptieren. Die Philharmoniker sind ein großartiges Orchester mit weltweiter Reputation. Umso peinlicher ist die Tatsache, dass sich der langjährige Vorstand dieser renommierten Einrichtung unnötigerweise angreifbar macht.

Der Ehrenring für Schirach war übrigens ein Duplikat. Das Original hatte er bereits 1942 bekommen. So einer musste nach der Kriegsverbrecherhaft wieder einen Ring erhalten. Streng geheim natürlich.

Dr. Harald Walser (* 18.4. 1953) ist Germanist und Historiker, Direktor des Gymnasiums Feldkirch, Nationalratsabgeordneter und Bildungssprecher der Grünen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2012)

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