Neues Milieu für alte Leute

Grinzinger Allee, Wien: Ein Seniorenheim vollzieht den Wandel, die Architektur reagiert darauf – so gut sie kann. Das neue „Haus Döbling“ bietet nicht nur ein Altersheim, sondern auch ein Ärztezentrum, einen Kindergarten und Privatwohnungen für Ältere.

Im Jahr 1960 wurde der gemeinnützige Fonds „Kuratorium Wiener Pensionistenheime“ gegründet, um Wohnheime für ältere Menschen zu errichten. Die Zielgruppe waren damals gesunde Menschen ab 60, denen man im Alter komfortable Wohnungen anbieten wollte. In den 1990er-Jahren ging mit der Umbenennung in „Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser“ samt neuem Logo „Häuser zum Leben“ auch eine Erhöhung der Ausstattungsstandards und ein Ausbau der Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen einer. Nach einem halben Jahrhundert stellt sich nun wieder die Frage nach der Adäquatheit des Angebots für Bedürfnisse der heutigen und künftigen Alten. Der Begriff „Innovatives Wohn- und Pflegehaus“ für eine neue Generation von Seniorenwohnheimen fokussiert nach wie vor auf das Wohnen, impliziert aber auch den Aspekt der Pflege im Titel. Der erste Neubau ist nun fertig und verkörpert tatsächlich eine architektonisch neue Interpretation des Themas, die mit Abstrichen im Detail von Rüdiger Lainer & Partner recht gut durch die Mühlen der Projektentwicklung gerettet werden konnte.

Der Neubau in der Grinzinger Allee entstand anstelle der Betriebsgarage Grinzing, die 2007 nach Inbetriebnahme der Großgarage in der Leopoldau geschlossen wurde, und ersetzt das bisherige „Haus Döbling“ aus dem Jahr 1970 in der Pfarrwiesengasse. Schon von außen kündigt sich der neue Charakter an. Hier erinnert nichts mehr an die Bauten der vorangegangenen Jahrzehnte, deren Ästhetik zwischen Gemeindebau und Provinzspital oszillierte. Das neue „Haus Döbling“ erinnert mit seiner verzweigten Struktur und der zart beige getönten Fassade mit den markanten Fensterumrandungen für eine Beschränkung der direkten Sonneneinstrahlung eher an eine Hotelanlage der besseren Kategorie. Durch die Gliederung der großen Baumasse in miteinander verknüpfte und jeweils unterschiedlich ausgebildete Solitäre fügt sie sich gut in das durchgrünte städtebauliche Umfeld aus Wohnblocks aus der Nachkriegszeit und älteren villenartigen Bebauungsstrukturen. Im Norden grenzt unmittelbar der 1909 in Betrieb genommene Wasserbehälter Hungerberg und damit eine weitläufige, überirdisch unbebaute Fläche an, dahinter die gleichnamige Weinriede.

Das Haus bietet nicht nur Platz für 252 Bewohner, sondern inkludiert weitere Einrichtungen, die eine soziale Durchmischung und Verschränkung mit dem Grätzel herstellen sollen. So wurden in einem Bauteil an der Grinzinger Allee ein Ärztezentrum vorgesehen, ein Kindergarten und 52 private Mietwohnungen im vierten und fünften Stock. Sie sind für ältere Menschen vorgesehen, die noch selbstständig leben können und wollen, hier aber die Möglichkeiten haben, Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen. Durch den Nutzungsmix ergeben sich etliche Schnittstellen zum Alltag des Stadtlebens, die in der Erdgeschoßzone aufeinandertreffen. Das Foyer ist als großzügiger, einladender Ort mit Ausblicken in begrünte Patios konzipiert. In Rezeptionsnähe empfangen auch Frisör und Fußpflege sowie eine Cafeteria. Tiefer im Gebäude liegen ein introvertierter Andachtsraum und für das gesellige Leben ein Mehrzwecksaal, der Gasthaus genannt wird. Hier wird gemeinsam gegessen, und hier können größere und auch externe Veranstaltungen stattfinden. Mit Ziegeln aus der abgerissenen Remise wurde ein Kellergewölbe mit Ausgang zum hauseigenen Weingarten im Park eingerichtet. Ebenso gibt es eine Verbindung zum Kindergarten, um die Kleinen und die Alten direkt zusammenzubringen. Die Orientierung ist in so einem großen Haus ein wichtiges Thema. Hier wird sie vor allem durch die signifikant ausgebildete Holztreppe erleichtert. Bequem im Steigungsverhältnis, elegant anmutend in einem rötlichen Holzton, der akzentuierend immer wieder im Haus eingesetzt wurde und großen Anteil an einer warmen Grundstimmung hat, wird sie dem Lift gern vorgezogen.

30 Quadratmeter inklusive Bad und Kochnische stehen allen Bewohnern als persönlicher, individuell möblierbarer Raum zur Verfügung. Vierzehn Einheiten sind um eine gemeinsame Raumsequenz bestehend aus einem gemeinsamen Ess- und Wohnbereich sowie einer Loggia als privatem Freibereich gruppiert. So entstehen überschaubare Cluster, in denen sich eine Wohngemeinschaft aus miteinander vertrauten Menschen aufbauen lässt. Auf Wunsch können zwei Apartments zu Zwei-Zimmer-Einheiten gekoppelt werden.

Es sind längst nicht mehr die fidelen 60- bis 70-Jährigen, die in ein Haus des KWP übersiedeln. Das Eintrittsalter der Bewohnerinnen wird immer höher und damit auch der Grad der notwendigen Betreuung. Daher können in diesem neuen Typ Pensionistenwohnhaus die Bewohner auch dann noch bleiben, wenn sie nicht mehr mobil sind und ganztägige Pflege benötigen. Die große Kunst, sowohl aufseiten der architektonischen Gestaltung als auch des Pflegebetriebs, ist es, auch dann noch einen wohnlichen Charakter aufrechtzuerhalten, wenn in den Apartments statt der individuellen Möbel die Pflegebetten Einzug halten. Die Grundrisse sind so angelegt, dass die Betten im Pflegefall wie in einem Krankenhaus auch um 90 Grad in den Raum gedreht werden können. Die Grundstimmung passt.

Es gibt Wermutstropfen, die man als Phänomen aus dem Hotelbau kennt, bei denen konzerneigene Corporate Identities gute architektonische Grundstrukturen und Material- und Ausstattungskonzepte verwässern. So hatten auch Rüdiger Lainer und sein Partner Oliver Sterl kaum Einfluss auf die Möblierung der Gemeinschaftsbereiche. Besonders im Foyer fällt dies auf, wo das in dunklen Holz- und Lilatönen gehaltene Ambiente der Cafeteria ganz und gar nicht mit dem elegant-heiteren Grundton des übrigen Raumes in Einklang steht. Wie sehr dem Freiraumkonzept von Auböck & Kárász Vereinfachungen zusetzen, lässt sich jetzt in der kalten Jahreszeit noch nicht zweifelsfrei beurteilen. Ihr Entwurf sah vor, die einzelnen Gartenbereiche nach dem Leitbild markanter Kulturlandschaften zu gestalten und abwechslungsreiche Erlebnisräume mit vertrauten Bildern zu schaffen. Wie human ein Milieu wahrgenommen wird, hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie viel Empathie für seine Gestaltung aufgewendet wurde. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2012)

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