Türkei: Warum Erdoğan mit der PKK verhandelt

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Premier Erdoğan möchte sich mit der Lösung des Kurdenkonflikts den Sieg bei den nächsten Wahlen sichern. Radikale könnten ihm einen Strich durch die Rechnung machen.

Istanbul. Die Initiative der türkischen Regierung, mithilfe von Verhandlungen mit dem inhaftierten Rebellenchef Abdullah Öcalan eine Lösung des Kurdenproblems anzugehen, ist ein mutiger Schritt. Die Gespräche haben höhere Erfolgsaussichten als frühere Bemühungen, weil die Regierung Erdoğan mit Blick auf anstehende Wahlen ihr ganzes Gewicht einbringen wird und weil viele Kurden endlich Wohlstand statt Waffen wollen. Trotz günstiger Voraussetzungen gibt es aber keine Garantie dafür, dass die Waffen nach fast 30 Jahren schweigen werden.

In der türkischen Öffentlichkeit wird der Vorstoß von Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan fast einhellig begrüßt. Der prominente Kolumnist Murat Yetkin lobt Erdoğans Entscheidung, einen Besuch von Kurdenpolitikern bei Öcalan zu erlauben, als „game changer“, als möglicherweise entscheidenden Zug der Regierung.

Die Türken werden bis 2015 ein neues Parlament, neue Bürgermeister in allen Städten und einen neuen Präsidenten wählen, wobei Erdoğan für sich selbst das höchste Staatsamt anstrebt. Eine historische Leistung wie die Lösung des Kurdenkonflikts würde die starke Position Erdoğans und seiner Regierungspartei AKP vor dem Beginn der Wahlkämpfe zementieren. Und eine Opposition, die sich der Beendigung eines seit fast 30 Jahren anhaltenden Konfliktes verschließt, kann im anstehenden Wahlmarathon kaum mit großen Zugewinnen rechnen.

Erdoğans Initiative genießt also großes Wohlwollen. Auf kurdischer Seite gibt es ebenfalls den starken Wunsch nach einer Lösung. Die kurdische Bevölkerung in der Türkei will ihre Rechte, aber sie will auch Arbeitsplätze. Selbst Kurdenpolitiker kritisieren inzwischen Gewaltaktionen der Guerilla, die den ökonomischen Aufbau des verarmten Gebietes sabotieren und Investoren abschrecken. Auch die Entführung von Dorfschullehrern durch die PKK in den vergangenen Monaten kam bei der kurdischen Bevölkerung nicht gut an.

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Neudefinition des Staatsbürgers

Schon gibt es erste Meldungen über einen Durchbruch in den Friedensverhandlungen zwischen Ankara und der PKK. Das ist verfrüht, nicht nur, weil die Gespräche zwischen Erdoğans Geheimdienst und PKK-Chef Öcalan weitergehen.

Der Staat muss den Kurden mehr Rechte zugestehen und diese Rechte garantieren. Das geht weit über Einzelreformen hinaus und ins Grundsätzliche hinein: Gebraucht wird eine Neudefinition des türkischen Staatsbürgertums, denn die Kurden wollen nicht mehr als „Türken“ geführt werden. Der Gedanke eines „Staatsbürgers der Türkei“ als Lösung ohne Herrschaftsanspruch einer Volksgruppe über die andere klingt für westeuropäische Ohren harmlos, weckt bei türkischen Nationalisten aber Separatismusängste.

Ihrerseits werden die Kurden auf die Forderung nach einer weitgehenden regionalen Autonomie inklusive eigener Kurdenpolizei verzichten müssen. Erdoğan wird über kurdische Städtenamen und kurdischen Sprachunterricht schon in der Grundschule mit sich reden lassen – nicht aber über einen föderalen Umbau des zentralistischen Staates, an dessen Spitze er selbst aufrücken will. Das ist ein Problem für die PKK und Kurdenpolitiker, die der kurdischen Bevölkerung bisher genau eine solche Autonomie versprochen haben.

In der Vergangenheit wurden Vermittlungsbemühungen immer wieder durch Gewalttaten gestört, sowohl durch Anschläge der PKK als auch durch Sabotageakte der Sicherheitskräfte. Erdoğans Initiative hat günstige Ausgangsbedingungen – aber sie hat nicht nur Freunde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2013)

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