Kapitän Bachs Wohnzimmer auf der Donau

Kapitaen Bachs Wohnzimmer Donau
Kapitaen Bachs Wohnzimmer Donau c Florian Peljak
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Die Donau ist in Deutschland reguliert – bis auf einen 70 Kilometer langen Abschnitt in Bayern. Dadurch wird der Gütertransport auf Rhein, Main und Donau gehemmt. Eine Fahrt auf dem Frachtschiff.

Einen seiner besten Freunde sieht Rolf Bach durchschnittlich alle zwei Wochen, wenn die Herren im Laufe einer Minute aneinander vorbeifahren, sich freundlich zuwinken und der Freund ihm anschließend per Funk einen schlüpfrigen Witz erzählt, wobei Bach kurz und trocken lachen muss. Wenn der Freund vorbeigefahren ist, hat Bach die bleiche Nebelsuppe vor seinen großen Fenstern wieder für sich allein. Freundschaften pflegen gehört zu den schwierigeren Dingen in seinem Leben. Bach erinnert sich an den Oktobertag, als er eben jenen Freund länger als eine Minute sah. Man verbrachte einen Tag in Regensburg, aß Schweinshaxe und Knödel in einem Festzelt, das Wetter war ungewöhnlich warm.

Sein Frachtschiff hat der groß gewachsene 50-jährige Deutsche „El Niño“ genannt. Hier wohnt und arbeitet er, schippert die meiste Zeit des Jahres über Rhein, Main und Donau, voll beladen mit Transportgütern aller Art, während seine Frau in der Küche Zitronengrassuppe zubereitet. „Auf dem Schiff hat man Zeit“, sagt Bach, „das ist Fluch und Segen zugleich.“ Obwohl Bach und seine Berufsgenossen Millionen Tonnen Güter jährlich quer durch Europa befördern, ist es nicht die Binnenschifffahrt, die einem beim Wort Gütertransport in den Sinn kommt.

Daher lassen wir die neue „Presse“-Serie „Donautour“ auf dem Frachtschiff beginnen. Gerade die Donau ist bedeutsam für die Binnenschifffahrt. Sie verbindet zehn Länder – so viele wie kein anderer Fluss auf der Welt. Auf dem deutschen Abschnitt wurden laut letzten verfügbaren Zahlen (2011) rund 5,6 Millionen Tonnen Güter – etwa Eisen, Stahl, Düngemittel, Autos – transportiert. Das sind um fast 16 Prozent weniger als im Jahr davor, die Wirtschaftskrise ist nicht spurlos an den nassen Wegen vorübergegangen.

Rolf Bach kann ein Lied davon singen. Noch vor fünf Jahren habe er netto doppelt so viel verdient wie heute, auch wenn es laut den neuesten Prognosen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) wieder aufwärts geht.

Bachs warmes Steuerhaus ist auch sein Wohnzimmer. Von hier aus steuert er „El Niños“ 185 Meter Länge. Zu allen Seiten sind die Wände verglast, ein weicher Teppich, eine Eckbank, eine kleine Holztreppe führt in die Schlafräume und Küche im unteren Stockwerk. An diesem Tag ist Bach kurz nach Sonnenaufgang von Regensburg, wo er über Nacht angelegt hatte, aufgebrochen. Während der Fahrt hält seine Frau die Fenster geschlossen, sonst fliegen die rostroten Partikel quer durch die Küche; diesmal transportiert Bach Eisenerz. Es wurde in Brasilien abgebaut, per Schiff nach Rotterdam gebracht, wo Bach mit seinem frisch geschrubbten „El Niño“ schon aufgewartet hat. Mit der Ladung ist er den Rhein hinunter zum Main-Donau Kanal – und fährt nun auf der Donau Richtung Linz, wo er das Eisenerz für die Voestalpine abladen wird. Insgesamt zwei Wochen wird er dafür unterwegs gewesen sein.

Ein Drittel der Ladung hat Bach – sehr unfreiwillig – in Regensburg gelassen. Von Rotterdam bis hierher war alles ein Kinderspiel, aber kurz nach Regensburg kommt Straubing, und bei Donaukilometer 2330 beginnt das ganze Dilemma. Die Donau ist in Deutschland weitgehend reguliert, bis auf den 70 Kilometer langen Abschnitt in Bayern, zwischen Straubing und Vilshofen. Hatte Bach bisher einen Abladetiefe von durchschnittlich 2,50 Metern, sind in diesem Abschnitt bestenfalls 1,60 Meter möglich. In anderen Worten: Wäre das Schiff voll beladen, es würde am kiesigen Boden entlang schrubben und nebenher die Fische zerquetschen.



Moorfrosch und Wechselkröte. Bereits seit über 50 Jahren wird über die Regulierung dieses Abschnittes diskutiert. Bund und Bayern haben verschiedene Ausbaumöglichkeiten angedacht und wieder verworfen, politische Wechsel haben den Verlauf des Prozesses gehemmt, passiert ist jedenfalls nie etwas. Ein Ärgernis für die Schifffahrer. Was er an Zeit und Geld sparen könnte, würde er nicht in Regensburg abladen müssen, klagt Bach. „Und das sind Kosten, die der Kunde zahlen muss.“ Die Lesart der Regulierung ist freilich eine andere, wenn man mit Georg Kestel an der diesigen Donau nahe des Örtchens Mühlham steht, wo der grauschlammige Fluss eine Schleife macht. Der Landschaftsarchitekt kämpft seit Jahren gegen eine Regulierung dieses Abschnittes, gemeinsam mit anderen Naturschützern, Vogelschützern, Anrainern, die Liste ist lang. Sie alle wollen verhindern, dass die Auenlandschaft in diesem Abschnitt zerstört wird. Über 50 Fischarten sind hier heimisch, erzählt Kestel, viele davon sind endemisch, leben also nur hier, der Moorfrosch und die Wechselkröte sind überhaupt vom Aussterben bedroht. 36 Vogelarten wurden hier gezählt, 200 Pflanzenarten können nur in der Auenlandschaft leben, die Liste ist ebenfalls lang. Der Ausbau würde den Naturhaushalt empfindlich treffen.

c Florian Peljak

Zur Debatte stehen dazu zwei Varianten mit den sperrigen Namen A und C 2,80, auch eine Beibehaltung der Ist-Situation ist möglich. Bei der Variante A würde der Flusslauf beibehalten werden, Steinhaufen an den Ufern sollen das Wasser stauen, damit der Fluss in der Mitte tiefer wird. Auch bei der Variante C würde die Donauschleife bei Mühlham bestehen bleiben, dafür würde aber an anderer Stelle für die Schiffe ein künstlicher, noch tieferer Übergang als bei Variante A gebaut.

In diesem Fall würde eine Dichtwand im Wasser die natürlichen, und für die Aulandschaft nötigen Überschwemmungen verhindern. Die Naturschützer bevorzugen, wenn überhaupt, die Variante A. Die WSV – Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – hingegen verweist auf den volkswirtschaftlichen Nutzen: Werden derzeit sechs bis sieben Millionen Tonnen pro Jahr über die Main-Donau-Wasserstraße transportiert, könnte das Volumen auf zwölf bis 13 Millionen Tonnen erhöht werden, sagt WSV-Präsident Detlef Aster: „Aus wirtschaftlicher Sicht muss die Variante C bevorzugt werden.“ Beide Möglichkeiten werden derzeit evaluiert, schließlich muss die Politik entscheiden. Die Regierungspartei CSU hat sich lange für die Variante C 2,80 ausgesprochen, der Koalitionspartner FDP dagegen. Der Ausbau wird sicher ein Wahlkampfthema, ist Kestel überzeugt. Im Herbst finden in Bayern Landtagswahlen statt.


Wahlen und Arzttermine. „El Niño“ surrt mit weniger als 10 km/h über die Mühlhamer Schleife, bis zum Abend hat Bach die unregulierte Strecke geschafft. Der Name eines Ortes, an dem Bach vorbeigefahren ist, ist hier Programm: Einöd. Nur Kirchtürme lockern manchmal das Baumpanorama auf. Auf dem Rhein ist eindeutig mehr los, sagt er. Bach hat – bis auf die schulpflichtigen Jahre – sein Leben lang auf dem Schiff gelebt. Bei Wahlen gibt er seine Stimme per Briefwahl ab, Arzttermine sind da schon schwieriger.

Die Urlaube verbringen er und seine Frau in Thailand, bei ihrer Familie. „Als Frau auf dem Schiff können Sie nur das Leben des Mannes mitmachen“, sagt Bach, „die Frau muss auch die Schifffahrt lieben. Sonst ist die Ehe kaputt.“ Seine Frau nickt zustimmend. Sie sieht im Steuerhaus fern, auf dem thailändischen Sender kreischt gerade der Moderator im Superman-T-Shirt aufgeregt ins Mikrofon. Dann bespricht das Paar das Abendessen. Und für einen kurzen Moment ist es wie in jedem anderen Wohnzimmer auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2013)

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