Die radikalen Islamisten werden ihren Kampf nicht nur auf Algerien ausweiten, sondern vermutlich bald auch auf Europa. Wer vor ihnen zurückweicht, lädt sie ein.
Schon wenige Tage nach der französischen Militärintervention in Mali hat die Internationale der radikalen Islamisten die Kampfzone ausgeweitet. Die erste Rachebotschaft kam vom anderen Ende Afrikas, aus Somalia: Die dortigen Shabaab-Milizen richteten einen französischen Geheimdienstmitarbeiter hin, den sie vor mehr als zwei Jahren entführt hatten. Die zweite Solidaritätsadresse gaben algerische Gotteskrieger ab. Ein Kommando der „al-Qaida im islamischen Maghreb“ überfiel im Süden Algeriens ein Erdgasfeld, das von einem internationalen Konsortium betrieben wird: von der norwegischen Firma Statoil und vom britischen Konzern BP; ein japanisches Subunternehmen, die JGC Corp., ist ebenfalls engagiert.
Dementsprechend bunt zusammengewürfelt war die Schar der Geiseln, die das „Blutsbataillon“ der al-Qaida in ihre Gewalt bringen wollte. Auf dem weitläufigen Gelände der Erdgasanlage bei In Amenas hielten sich zum Zeitpunkt des Überfalls nicht nur Briten, Norweger und Japaner auf, sondern unter anderen auch ein 36-jähriger Niederösterreicher.
Die Krisenstäbe der betroffenen Staaten nahmen schnell Kontakt miteinander auf. Sie richteten einen gemeinsamen Wunsch an die algerischen Behörden: Die Gesundheit und das Leben der Geiseln mögen unter allen Umständen geschützt werden. Doch für die algerischen Sicherheitskräfte hatte dieser Appell offenbar nicht die geringste Bedeutung. Sie schossen aus allen Rohren, auch aus Hubschraubern. Wie viele Menschen dabei ums Leben kamen, war zunächst nicht in Erfahrung zu bringen.
Eines ist aber schon jetzt ersichtlich: Die radikal-islamistische Herausforderung, der sich Frankreichs Armee in Mali stellt, ist nicht auf den westafrikanischen Staat beschränkt. Seit dem Arabischen Frühling haben Jihadisten in der Region ihre Nischen gesucht und gefunden. Im unübersichtlichen Grenzgebiet zwischen Mauretanien, Algerien und Mali hatten diverse Terroristenverbände schon seit Langem ihre Schmuggel- und Rückzugszonen. Der Krieg in Libyen spülte frisches Geld in ihre Schatullen und neue Waffen in ihre Arsenale. So gerechtfertigt die Militärkampagne gegen Gaddafi war, sie hatte überregionale Folgen, die erst nach und nach sichtbar wurden. Die Tuareg, die nach dem libyschen Bürgerkrieg zurück nach Mali zogen, trugen schweres Gerät im Gepäck, mit dem sie den seit Langem schwelenden Kampf in ihrer alten Heimat befeuerten. Sie brachten das Gleichgewicht ins Kippen und riefen im Norden Malis ihre „Republik Azawad“ aus. Die großen Nutznießer waren jedoch islamistische Gruppen, die rund um Timbuktu in einem Ort nach dem anderen ihr Steinzeit-Scharia-System einführten.
Langsam, aber doch reagierte die internationale Gemeinschaft und beschloss Ende des Vorjahres, Malis Armee in einer Trainingsmission aufzupäppeln, damit diese die Rebellen aus dem Norden des Landes vertreibt. Doch die Islamisten hielten sich nicht an den Zeitplan der UNO und stießen weiter in Richtung der Hauptstadt Bamako vor. Das war der Moment, in dem die französische Armee eingriff.
Frankreich verdient Unterstützung. Denn sein Fronteinsatz gegen den aggressiven Islamismus ist für ganz Europa relevant. Es kann keine Alternative sein, Terroristengruppen gesamte Staaten zu überlassen, damit sie dann von dort aus ihren Krieg in den Westen tragen. Diese Lektion müsste seit den Terroranschlägen vom 11.September 2001 einsichtig gemacht haben. Gleichzeitig haben die darauffolgenden Kriege in Afghanistan und im Irak gezeigt, dass solche Interventionen auch beflügelnd für Terroristen wirken können. Frankreich und seine Verbündeten sollten die Kriegsziele in Mali deshalb sehr eng und genau definieren.
Von den europäischen Partnern erwartet Paris zu Recht Hilfe, auch von Österreich. Es ist beschämend, dass sich Verteidigungsminister Darabos aus populistischen Gründen dagegen querlegt, wenigstens ein paar Stabsoffiziere zur Trainingsmission nach Mali zu entsenden, und auch Außenminister Michael Spindelegger aus Angst vor Stimmenverlusten bei der Wehrpflicht-Volksbefragung nicht vehementer darauf drängt.
Mali geht auch Österreich etwas an. Das sollte spätestens seit der Geiselnahme in Algerien klar sein.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2013)