Basteln gegen den Braindrain

Basteln gegen Braindrain
Basteln gegen Braindrain(c) AP (Jae C Hong)
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Martin Hollinetz schafft offene Räume und Labors für Kreative in der oberösterreichischen Provinz. Sein Open-Space-Konzept namens Otelo breitet sich aus – fast bis Berlin.

Es ist kein Ort, an dem man Hightech, Kreativität und Innovationsgeist erwarten würde. Ein altes Amtsgebäude am beschaulichen Ottensheimer Marktplatz, irgendwo im Oberen Mühlviertel. Seit gut einem halben Jahr wird in den alten Räumen aber gebastelt – Ottensheim hat das alte Amt Otelo zur Verfügung gestellt – als „Offenes Technologielabor“. Dort werkt nun zum Beispiel Benjamin Krux an seinen 3-D-Druckern. Er hat dort seinen ersten Drucker nach einem Bausatz gebaut, mittlerweile hat er den modifiziert, verbessert und verkauft nun seine Bausätze der sich selbst reproduzierenden Drucker „RepRap“ (ein Drucker druckt die Teile, aus denen der nächste gebaut wird) in 50 Länder, hat seine eigene Firma gegründet und hält 3-D-Druck-Workshops im Otelo.

Initiiert hat das Otelo Martin Hollinetz. Er war Regionalentwickler in der Region Vöcklabruck/Gmunden, als solcher hat er 2010 das Konzept Otelo erdacht. Otelos, das sind offene Räume zum Experimentieren. Mittlerweile gibt es fünf solcher Kreativzentren, in zwei Jahren, so Hollinetz, sollen es 20 sein. „Der Bausatz für ein Otelo ist denkbar einfach: Otelo braucht mindestens 250 Quadratmeter Fläche, mit Gemeinschaftsräumen, Werkstätten und Labors“, erklärt Hollinetz. Jüngst wurde er für seine Idee von der Ashoka Austria als Fellow aufgenommen. Ashoka sucht weltweit Sozialunternehmer mit zukunftsweisenden Ideen und unterstützt sie bei der Verbreitung dieser Ideen.


Raum mal Bürgerbeteiligung.
„Die Räume sollen ein Nährboden sein, damit Kreative nicht gezwungen sind, nach Wien oder Berlin zu gehen“, sagt Hollinetz. Den Braindrain, die Abwanderung von Talenten am Land, zu stoppen. Ihm sei es darum gegangen, einen neuen Weg zu finden, um Kreativität und Innovation am Land zu fördern. Open Source wie viele der Projekte und Produkte, so funktioniert auch Otelo: „Im Wesentlichen kann sich jeder des Bausatzes bedienen. Neben dem Raum und der Infrastruktur braucht Otelo vor allem Bürgerbeteiligung.“ Anders als bei Projekten für Regionalentwicklung, Kreative und gegen den Braindrain in den Regionen, bei denen Bürgermeister oder Gemeinderat Initiativen beschließen, müssen die Zentren von den so genannten „Otelo Five“, einem lokalen Kernteam, getragen werden. Auch wenn es freilich nicht ohne die Unterstützung der Politik und lokaler Unternehmen geht, die Räume, Technik und Infrastruktur zur Verfügung stellen.

In diesen Räumen wird nun Seife gesotten, Radio gemacht, Schmuck entworfen, Kinder lernen Technik und Chemie kennen, Solartrockner oder ein 3-D-Scanner wurden entwickelt, gemeinsame Projekte mit dem Team der Ars Electronica sind entstanden: Ein „Fitnesscenter der Zukunft“ namens Mohups, zum Beispiel. Bei dieser „Mobile Human Power Station“ sitzen 20, 30 Menschen auf fixierten Rädern, treten und produzieren so Strom für Konzerte oder Open-Air-Kino-Vorstellungen. Mittlerweile wird das Mohups für Feiern und Festivals vermietet.


Konzept lebt längst in den Städten.
Das Konzept der offenen Räume zum Experimentieren mit Technologie, zum Ausleben der Kreativität, ist freilich nicht neu. In Wien finden sich einige solcher offenen Werkstätten, in denen Kreative kostenlos oder gegen einen Mitgliedsbeitrag arbeiten können: Die Hightech-Werkstatt FabLab/Happylab in der Haussteinstraße im Zweiten, das Metalab hinter dem Rathaus, das Wuk, zum Beispiel. Oder – ein ähnliches Konzept – diverse Coworking-Spaces.

Diese Orte zum Tüfteln und Arbeiten, in denen sich Kreative mit gemeinsamen Leidenschaften und Interessen vernetzen, sind bisher vor allem Ballungszentren vorbehalten. Aber der Bedarf dürfte groß sein. Die Otelos breiten sich aus. In Oberösterreich gibt es mittlerweile fünf: in Ottensheim, Vorchdorf, Kirchdorf, Gmunden und Vöcklabruck. Vor einem Jahr hat das erste Auslands-Otelo in Angermünde nahe Berlin eröffnet, in Kiel und Eberswalde entstehen derzeit solche Labors. Auch in Österreich breitet sich das Konzept aus: Neunkirchen, Krems, Waidhofen oder Ossiach wollen Otelos gründen. „Es ist ausgesät“, sagt deren Erfinder. Er will nun eine Genossenschaft gründen, bisher ist Otelo ein Verein. Über die Genossenschaft können dann jene Jungunternehmer, die über Otelo-Projekte mittlerweile ihren Lebensunterhalt verdienen, angestellt werden. 25 Kreative leben mittlerweile von ihrer Arbeit im Otelo, meist als Einzelunternehmer.

Vom Salzkammergut ins Silicon Valley.
Eines der Projekte ist der OggStreamer. Entstanden ist die Idee im Radionest des Otelo Vöcklabruck, einer Außenstation des Senders „Freies Radio Salzkammergut“: Der Entwickler Georg Ottinger war dort auf der Suche nach einer einfachen Lösung, um die Sendungen via Web ins Studio in Bad Ischl zu schicken. Herausgekommen ist der genannte Streamer, der das einfache Übertragen von Audiodateien möglich macht – vor allem für freie Radiosender. Mittlerweile wurde der Streamer beim „Xport Pro Design Contest“ im Silicon Valley ausgezeichnet, derzeit arbeitet Ottinger an einer Serie von 50 Geräten.

Ein Projekt, das an einem Ort entstanden ist, an dem man es nie vermutet hätte. In einem alten, baufälligen Haus, einige Türen hat der Statiker versiegeln lassen, zu gefährlich sei es, die Räume zu betreten. Das Haus darf man erst wieder nutzen, seit es von Holzbalken und Pfeilern gestützt wird, zuvor galt es als einsturzgefährdet. Die frühere Musikschule in Vöcklabruck, direkt gegenüber dem Bahnhof. Heute der Sitz des Vöcklabrucker Otelos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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