Türkei: Kühler Empfang für "ungläubige" deutsche Soldaten

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Nato-Partner wollen die Türkei mit Patriot-Raketen gegen einen möglichen syrischen Angriff schützen. Doch die Freude über das Hilfsangebot ist enden wollend. Die Bevölkerung misstraut den Ausländern.

Kahramanmaraş. Ali Özen schaut von seiner Arbeit auf: „Was wollen die denn hier, wir haben doch unsere eigenen Soldaten.“ Der Sattlermeister im Basar der Altstadt der südostanatolischen Stadt Kahramanmaraş bearbeitet mit routinierten Hieben ein Stück Holz, das einmal Teil eines Lastsattels für ein Pferd werden soll. Doch jetzt legt er sein Beil zur Seite. Ein befreundeter Händler ist zu einem Plausch herübergekommen. Man redet über die deutsche Bundeswehr, die in diesen Tagen zusammen mit ihren Patriot-Raketen in der Stadt eintreffen soll. Gegen die Deutschen habe man nichts, sagen die Männer. „Die sollen nur unsere Frauen in Ruhe lassen, dann gibt's keine Probleme“, sagt Özen.

Idealer Standort für Raketen

Zum Schutz vor möglichen Raketenangriffen aus dem rund 100 Kilometer entfernten Syrien sollen die deutschen Soldaten ihre Luftabwehrwaffen in der Gazi-Kaserne von Kahramanmaraş stationieren. Vom Kasernengelände am Südhang eines Bergkamms überblickt man die 400.000-Einwohner-Stadt mit ihrem uralten Burghügel, ihren Moscheen und Textilfabriken. Ein idealer Standort für die Patriots, sagen die Militärs.

Im Laufe der Woche sollen mehrere hundert deutsche Soldaten eintreffen. In Adana, weiter südlich, und in Gaziantep, südöstlich von hier, bauen niederländische und US-Truppen unterdessen ihre eigenen Patriot-Systeme auf. Aber von Dankbarkeit über die Ankunft der Nato-Verbündeten ist nichts zu spüren, stattdessen herrschen Skepsis und Ablehnung.

Nationalistische und islamistische Gruppen protestierten am Dienstag gegen die Nato, Sicherheitskräfte mussten mit Tränengas und Schlagstöcken gegen Demonstranten in der Hafenstadt Iskenderun sowie an der Luftwaffenbasis Incirlik im Süden des Landes vorgehen. Es gab Dutzende Festnahmen. Vor ein paar Wochen gingen auch in Kahramanmaraş einige Demonstranten gegen die „ungläubigen Soldaten“ auf die Straße, sie verbrannten Fahnen der Nato, der USA und Israels.

Deutsche Fahnen waren nicht darunter. Aber Cuma Tahiroğlu, Parlamentskandidat der islamistischen Saadet-Partei in Kahramanmaraş, sieht da keinen großen Unterschied. „Wenn die Deutschen sich hier in der Stadt mit ihren Waffen zeigen, dann werden sie in unseren Augen zu Amerikanern“, sagt er. Es klingt wie eine Beleidigung und eine leise Drohung, und so ist es auch gemeint.

„Wegen der Deutschen haben wir doch damals den Krieg verloren“, sagt Mustafa Tüten, Saadet-Chef in Kahramanmaraş und Mitorganisator der Protestkundgebung. Mit dem Krieg meint er den Ersten Weltkrieg, in dem Türken und Deutsche verbündet waren und der mit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches endete. Als Folge wurde die Stadt, die damals noch Maraş hieß, von den Franzosen besetzt. 1920 vertrieben die Türken die Besatzer und erkämpften Maraş damit den Ehrentitel Kahraman – „heldenhaft“.

Heute rät Tüten den Deutschen, sich in ihrem öffentlichen Auftreten zurückzuhalten. „Sonst geht es ihnen so wie den Franzosen.“ Sollte es irgendwann Krach geben zwischen den Deutschen und der Bevölkerung, „dann liegt die Schuld dafür nicht bei uns“.

Derzeit gibt es keine Anzeichen für eine solche Eskalation, und Saadet-Mann Tüten betont, dass ihm die Deutschen „als Menschen“ durchaus willkommen seien. Dennoch geht die Bundeswehr kein Risiko ein. Die Soldaten des deutschen Vorauskommandos traten in den vergangenen Wochen kaum öffentlich in Erscheinung. In der Lobby des Hotels am Stadtrand, in dem die Bundeswehr-Vorhut wohnte, wimmelte es Tag und Nacht vor Polizisten.

„Uns sagt doch keiner was“

Oberst Marc Ellermann, Kommandeur des Kontingents, trägt als Zeichen der deutsch-türkischen Freundschaft eine Anstecknadel mit den Fahnen beider Länder am Kragen seines Kampfanzugs. Aber ob er Gelegenheit haben wird, den Menschen in Kahramanmaraş zu erklären, warum die Bundeswehr in ihre Stadt gekommen ist, weiß er noch nicht. Dabei wäre das vielleicht keine schlechte Idee. „Uns sagt doch keiner was“, sagt der Händler Alaattin Namli im Basar. „Wenn die hier ihre Raketen aufstellen, dann heißt das doch wohl auch, dass wir das erste Ziel sein werden, das angegriffen wird, oder?“ Die Deutschen sieht er als Gäste, die er höflich behandelt sehen will – „solange sie nicht saufen und in der Gegend herumballern“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2013)

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