Die Macht, die von privaten Vermögen ausgeht

Die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer ist argumentierbar. Die Einnahmen daraus sollten zweckgebunden für Investitionen zur Erhöhung der Chancengleichheit im Bildungs- und Erziehungsbereich verwendet werden.

Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), wird am 15. Februar die Ergebnisse einer Erhebung zu den Konsumgewohnheiten und Vermögensverhältnissen für alle Eurostaaten präsentieren. Die EZB initiierte dieses Projekt mit dem Ziel, Erkenntnisse zum geldpolitischen Zusammenhang zwischen Geld- und Realwirtschaft zu erlangen sowie mögliche Ursachen von Instabilitäten der Finanzmärkte in Zukunft rascher erkennen zu können. Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) hat erste Ergebnisse für Österreich bereits vorgestellt.

Das gesamte Nettovermögen (Sach- und Finanzvermögen minus Schulden) der privaten Haushalte in Österreich beträgt mit rund 1000 Milliarden Euro das rund 3,5-fache des österreichischen Bruttoinlandsproduktes (BIP). Die Vermögenswerte sind seit 1970 doppelt so schnell gewachsen wie das BIP. Bedeutung und Macht dieser privaten Vermögen haben somit stark zugenommen.

 

Sparen, erben, veranlagen

In Österreich besitzen die obersten zwanzig Prozent aller Haushalte drei Viertel des Bruttovermögens; auf die obersten fünf Prozent der Haushalte entfallen 45 Prozent.

Zwei Fragen sind in diesem Zusammenhang interessant: erstens die Frage nach den Ursachen für diese Verteilung und zweitens jene nach ihren Konsequenzen. Hinsichtlich der Ursachen lassen sich drei Quellen von Vermögensbildung festmachen: Ersparnisse aus dem laufenden Einkommen, Erbschaften und Schenkungen sowie Erträge aus bereits vorhandenem Vermögen.

Sparen aus dem laufenden Einkommen ist nur dann möglich, wenn das Einkommen höher ist als zur Deckung der Konsumbedürfnisse erforderlich. Die Sparquoten sind bei niedrigen Einkommen nahe null und steigen mit zunehmendem Einkommen. Vermögensbildung aus laufendem Einkommen ist somit nur Beziehern von mittleren und höheren Einkommen möglich.

Erbschaften, die zweite Quelle der Vermögensbildung, nehmen mit steigendem Vermögen zu. So beträgt der Anteil von Haushalten, die geerbt haben, im untersten Fünftel aller Haushalte lediglich zehn Prozent, während im obersten Fünftel bereits knapp zwei Drittel aller Haushalte eine Erbschaft erhalten haben. Das durchschnittliche Erbvermögen im unteren Fünftel der Haushalte beträgt aber lediglich 14.000 Euro, während jenes im obersten Fünftel 236.000 Euro ausmacht. Vermögensungleichheiten entstehen daher vor allem über Erbschaften.

 

Zunehmende Ungleichheit

Die dritte Möglichkeit – Vermögensbildung durch Erträge aus vorhandenem Vermögen – setzt zumeist eine entsprechende Erbschaft voraus. Die Daten der OeNB zeigen dabei, wie sich die Vermögensstruktur nach Haushalten unterscheidet. Nur die oberen Vermögensklassen besitzen Veranlagungen wie weiteres Immobilienvermögen, Unternehmensbeteiligungen, Fonds, Aktien und Anleihen.

Während der Anteil der Haushalte, die Aktien und/oder Investmentzertifikate halten, für die untere Hälfte der Vermögensbesitzer unter zehn Prozent liegt, so halten im 10. Dezil mehr als 70 Prozent aller Haushalte derartige Anlagen. Diese drei Quellen der Vermögensbildung zusammen münden in einen sich selbst verstärkenden Circulus vitiosus: Das Einkommen der einen reicht gerade für den täglichen Konsum und lässt den Aufbau von Vermögen nicht zu. Dagegen können jene, die neben einer „guten“ Erbschaft auch eine gute Ausbildung erhalten haben, höhere Einkommen erzielen und auch größere Vermögen bilden.

Zunehmende Ungleichheit ist jedoch für jede demokratische Grundordnung existenzgefährdend, wenn sie den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft infrage stellt. Dies insbesondere dann, wenn – so wie in Österreich der Fall – Bildungs-, Einkommens- und Vermögenshierarchien zwischen den Generationen stark übertragen werden.

 

Reichtum bedeutet Einfluss

Während Armut geringere soziale Teilhabe und geringere Möglichkeiten zur politischen Mitgestaltung impliziert, bedeutet Reichtum ein Übermaß an politischen Einflussmöglichkeiten. Vermögenskonzentration impliziert Konzentration von politischer Macht und damit einhergehend Möglichkeiten, demokratische Institutionen inhaltlich auszuhöhlen.

Will man dieser Entwicklung gegensteuern und dem Prinzip der Chancengleichheit eine stärkere Stellung verschaffen, so müssten wirtschaftspolitische Maßnahmen vor allem an zwei Hebeln ansetzen: Erbschaften und Chancengleichheit im Zugang zu Bildung.

Machtbegrenzung kann letztlich nur über Vermögensbegrenzung erfolgen. Die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer ist dabei auch unter rein liberalen Gesichtspunkten argumentierbar. Bei einer für Österreich geschätzten jährlichen Erbmasse von 30 Milliarden Euro für die nächsten 30 Jahre würde diese Steuer neben dem sozialen Ausgleich auch ein nicht unerhebliches Steueraufkommen erzielen. Sie würde dabei aufgrund der extrem ungleichen Vermögensverteilung aber nur einen relativ kleinen Teil der Gesellschaft betreffen.

Mindestens ebenso wichtig ist aber auch die gleichzeitige Verbesserung der Chancengerechtigkeit für alle, insbesondere aber für minderprivilegierte Personen. Dies erfordert vor allem massive Investitionen in die vorschulischen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Medizinische, soziologische und pädagogische, aber auch ökonomische Studien zeigen unisono, dass die ersten Lebensjahre von zentraler Bedeutung für den weiteren Bildungs- und Erwerbsverlauf sind. Die große Bedeutung der frühkindlichen Erziehung wird sowohl von der Industriellenvereinigung in deren „Drei-Säulen-Modell zur Familienpolitik“ als auch von der Arbeiterkammer entsprechend gewürdigt.

 

Effizienz und Gerechtigkeit

Öffentliche Investitionen in diesem Lebensabschnitt erbringen sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich die höchsten Erträge: Geringere Kriminalität, bessere Gesundheit, soziale Integration sowie ein höheres Bildungs-, Sozial- und Leistungsvermögen führen nicht nur individuell zu höherem Einkommen, sondern langfristig auch gesamtgesellschaftlich zu höheren Steuereinnahmen sowie geringeren Ausgaben für Sozial- und andere Rehabilitationsmaßnahmen.

Prävention ist immer effizienter als Rehabilitation. In diesem Sinne wäre es ratsam, wenn Erbschafts- und Schenkungssteuereinnahmen zweckgebunden für Investitionen zur Erhöhung der Chancengleichheit im vorschulischen Bildungs- und Erziehungsbereich verwendet werden würden. Somit könnten sowohl mehr Gerechtigkeit als auch höhere Effizienz gemeinsam erzielt werden!


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor

Wilfried Altzinger studierte an den Universitäten Linz und Bremen Volkswirtschaftslehre und absolvierte ein Postgraduierten-Programm am Institut für Höhere Studien, Wien. An der WU Wien schloss er sein Doktorat ab und habilitierte sich 2001. Seit 2008 leitet er das Wahlpflichtfach „Verteilungstheorie und -empirie“ und ist stellvertretender Leiter des Institutes für Geld- und Finanzpolitik an der WU. [Nurith Wagner-Strauss]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2013)


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