Die Pflicht der Juden: Zwei Pfund Pfeffer für den Pfarrer

Pflicht Juden Zwei Pfund
Pflicht Juden Zwei Pfund(c) AP (OSMAN ORSAL)
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Ein Sozialhistoriker hat in einem Archiv Akten über die bisher unbekannte jüdische Geschichte im Waldviertel gefunden und ausgewertet.

In Weitersfeld deutet heute nichts mehr darauf hin, dass es im 17. Jahrhundert an der Grenze zwischen Wald- und Weinviertel eine der größten jüdischen Gemeinden Niederösterreichs gegeben hat. Forscher haben in den letzten Jahren etwa in dem Großprojekt „Austria Judaica“ herausgefunden, dass dort 20 jüdische Familien gelebt haben (andere Quellen sprechen sogar von 32). Wer diese Menschen waren, wovon und wie sie lebten, darüber war bisher nichts bekannt. Die Ortschronik widmet der jüdischen Vergangenheit gerade einmal acht Zeilen. Alle innerjüdischen Quellen sind offenbar verloren, ebenso alle Unterlagen zur Ortsgeschichte. Der Sozialhistoriker Alfred Damm stieß bei Recherchen in den Herrschaftsbüchern der Grafschaft Hardegg über das Armenspital in Weitersfeld aber auf Spuren dieser Minderheit, die 1671 zwangsweise in das südmährische Dorf Schaffa (Šafov) gezogen war. Das Ergebnis seiner fünfjährigen Arbeit wurde diese Woche als Buch präsentiert.

Der Beginn der jüdischen Gemeinde ist nicht genau fassbar, die erste Nachricht stammt aus dem Jahr 1619 – wenige Jahre nach einer Vertreibung von Juden aus Wien. Zwei Faktoren sorgten für das Wachstum der Landgemeinde: Zum einen wollten die Hardegger Grafen den Handel mit Agrarprodukten fördern – wegen ihrer verzweigten Kontakte waren Juden dafür gut geeignet. Zum anderen stand (u.a. wegen des Dreißigjährigen Kriegs) die Hälfte aller Häuser leer, den Grundherren war jede Zuwanderung willkommen. Diese ökonomischen Motive waren offenbar viel stärker als die judenfeindliche Haltung der Landesfürsten und der Herrschaftsbesitzer.

Die rechtliche Stellung der Juden war zwar unklar, merkt Damm an – aber sie war verhandelbar. Mit der Herrschaft wurde ein „Contract“ geschlossen, der u.a. die Religionsausübung oder die Zahlung eines „Schutzgeldes“ regelte. So mussten z.B. beim Pfarrer in Weitersfeld jährlich zwei Pfund Pfeffer abgeliefert werden.

Die Juden in Weitersfeld lebten in den zuvor leer stehenden Häusern verstreut im Dorf, ihre Haupttätigkeit war der Handel mit Schafen und Wolle. Manche waren als fliegende Händler („Pinkeltrager“) unterwegs, auch der Kramladen des Ortes wurde von einer jüdischen Familie geführt – dort waren selbst im Kriegsjahr 1646 Safran, Pfeffer oder Feigen zu bekommen. Laut den Akten waren die Weitersfelder Juden zudem agrarisch tätig, obwohl es eigentlich ein Verbot für Juden gab, landwirtschaftlich nutzbaren Grund zu besitzen. Dieses wurde in Weitersfeld offenbar ignoriert – man ging mit Vorschriften aus den weit entfernten Machtzentren recht pragmatisch um.


Nur wenige Quellen. Über das Zusammenleben der protestantischen, später zunehmend katholischen Mehrheitsbevölkerung mit der jüdischen Minderheit gibt es praktisch keine Nachrichten. In den Akten der Grafschaft hat Damm keine Vorwürfe oder Hinweise über „Wucher“ oder „übervorteilende Juden“ gefunden, ebenso wird von keinen Streitigkeiten zu Vieh-, Pfand- oder Leihhandel zwischen Juden und Christen berichtet. „Es hat sicher auch Probleme gegeben, aber diese sind nicht aktenkundig“, so Damm. Gerichtsakten aus dieser Zeit wurden bisher keine gefunden. Es gibt kaum Nachrichten über den Kultus, etwa über eine Synagoge, einen Rabbiner oder einen Friedhof. Genannt sind lediglich Judenrichter und Schulmeister.

1671 veränderte sich die Situation plötzlich dramatisch: Kaiser Leopold I. ordnete die Ausweisung aller Juden Wiens und Niederösterreichs an – „auf ewig“. Die Weitersfelder Juden gingen nach dem Verkauf ihrer Häuser und mitsamt ihres Besitzes in das rund 20Kilometer entfernte Schaffa, knapp hinter der Grenze zu Mähren – wo der kaiserliche Befehl nicht galt. Sie hatten dorthin bereits von früher Kontakte. „Die Umsiedlung war kein Exodus ins Unbekannte. Es war ein simpler Umzug ins nächste Dorf“, so Damm. Der dortige Gutsherr Max von Starhemberg – mit Sitz in Frain (Vranov) – habe den Zuzüglern kein „Asyl“ gewährt, sondern eine Gelegenheit ergriffen, um die Zahl seiner Untertanen zu vergrößern.

In Weitersfeld und Hardegg hinterließ der erzwungene Abzug der Juden eine Versorgungslücke. „Man war gezwungen, den jüdischen Lieferanten nach Schaffa quasi hinterherzulaufen“, schreibt Damm. Dadurch änderte sich an deren Tätigkeit kaum etwas: Sie waren – nun unter der neuen Identität als mährische Juden – weiterhin als Händler u.a. für die Hardegger Grafen tätig.

Die Juden von Schaffa wurden zusehends zu einer bestimmenden Größe im Handel zwischen dem Waldviertel und Mähren. Schaffa selbst war bis in das 20.Jahrhundert hinein halb christlich, halb jüdisch. Die Juden lebten anfangs im Dorf verstreut, bis Kaiser Karl VI. 1726 die „Separierung“ der jüdischen Bevölkerung dekretierte. „Als wirdt hiemit angeordnet, das aus gleichgemelten Haus der Jud von dannen, auf die Juden=seithen translociret werden solle“, heißt es in den Akten. Über das Aussehen des in einer Ecke von Schaffa errichteten Judenghettos informiert ein Vogelschauplan aus 1727/28: Christliche Häuser sind darin rot, jüdische schwarz eingezeichnet.

Dem florierenden Handel der Juden zu Schaffa wurde erst durch den Bau der Eisenbahnen ein Ende gesetzt. Immer mehr Familien wanderten daraufhin in die Städte aus – unter ihnen Vorfahren von Neil Diamond oder Verwandte von Bruno Kreisky. 1943 wurde der letzte jüdische Bewohner von den Nazis deportiert. Vom Ghetto in Schaffa ist heute nichts mehr zu sehen, erhalten ist aber der – gut gepflegte – jüdische Friedhof. Die 950 Grabsteine werden derzeit erforscht. So wird man vielleicht irgendwann erfahren, was aus jenen Juden wurde, die es einst in das tiefe Waldviertel verschlagen hat.


Alfred Damm: „Weitersfeld/Schaffa. Zur Geschichte einer jüdischen Landgemeinde an der mährischen Grenze in der Neuzeit. Eine Spurensuche“, 288 S., 28 Euro (Verlag Bibliothek der Provinz).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2013)

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