Nostalgiefahrer als (in)offizielle Donaudiplomaten

unoffiziellen Donaudiplomaten
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Die Gesellschaft der Donaufreunde Ulm fährt einmal im Jahr mit der "Ulmer Schachtel" die Donau entlang - und sucht neue Freunde.

Martin Grimmeiß darf als Erster aus dem Krug trinken. Am Vormittag, um kurz nach neun. Wer zu spät kommt, muss eine Flasche Wein spendieren, da ist Grimmeiß sehr streng. Haben sich die Herren also vollzählig auf dem Schiff eingefunden, fasst Grimmeiß den vergangenen Tag zusammen und nimmt einen Schluck vom „Kapitänstrunk" - einem Prosecco-Bier-Gemisch - und gibt den Krug weiter an die anderen Männer. Das Ritual wird jeden Tag bedachtsam wiederholt. Auch da ist Grimmeiß streng.

Der Rechtsanwalt sitzt in seinem Büro in Neu-Ulm und deutet aus dem Fenster: Die Ulmer Münster ist im winterlichen Nebel nur ansatzweise erkennbar, so auch die Dächer der Stadt Ulm - und die dunstende Donau, die die beiden Städte Neu-Ulm und Ulm trennt. Grimmeiß arbeitet direkt neben der Donau, seine Freizeit verbringt er auf der Donau: Er ist Präsident der Gesellschaft der Donaufreunde Ulm, die jeden Sommer mit dem Schiff eine (längere oder kürzere) Reise auf der Donau unternehmen. Als Präsident steht ihm der erste Schluck aus dem Krug zu. Und auch repräsentative Aufgaben, schließlich sind die Fahrten auch halb-offiziell: „Wir sind zwar ein privater Verein, wir fahren aber auch im Auftrag der Stadt Ulm. Bei unseren Fahrten vertreten wir die Belange der Stadt mit."

Das Schiff, mit dem Grimmeiß und die Vereinsmitglieder - ja, es sind nur Männer, dazu später mehr - zumindest bis nach Wien, bisweilen aber auch nach Belgrad und sogar bis zum Schwarzen Meer fahren, ist von der Sorte „Ulmer Schachtel". Mag nicht sonderlich schmeichelhaft klingen - und als die Schiffe so genannt wurden, war es auch nicht schmeichelhaft gemeint: In den 1840er-Jahren soll ein Abgeordneter im Stuttgarter Landtag die Ulmer Schiffe als „Schachteln" verspottet haben. Die Bauweise erinnerte tatsächlich an einen, sagen wir, Karton, der auf einer Platte aufgesetzt wurde. Die Ulmer nannten sie gemäß ihrem Zielort „Wiener Zille" und die Wiener „Ulmerplättchen". Verbürgt ist deren Bau in Ulm ab 1570. Zunächst waren die Zillen rund 14 Meter lang, Form und Aufbau veränderten sich aber im Laufe der Zeit (nicht zuletzt durch die Regulierung und bessere Schiffbarkeit der Donau). Die letzte Ulmer Schachtel, die 1897 ablegte, war 30 Meter lang, acht Meter breit und mit 200 Tonnen Waren beladbar.

Freilich, der Warentransport. Die Ulmer Schachteln waren damals von ihrem heutigen touristischen - Grimmeiß würde auch sagen: diplomatischen - Zweck weit entfernt. Nur ein Jahr nach dem Bau der ersten Schachtel wurden an der Donau-Mautstelle im bayerischen Straubing 22.000 Eimer Wein registriert, die nach Wien verschifft wurden. Auch Leinen, Bücher, Barchent (Baumwoll-Leinen-Stoff), Spielkarten, Schnecken, Asphalt und Essig wurden verladen.

Das Lied der Donaufreunde

Ulmer Spatza, Wasserratza, hoi, hoi, hoi,

wir fahren die Donau hinab

und suchen nach Freunden sie ab,

wir rufen vom Strom in das Land:

die Donau sei uns'rer Freundschaft Band.

Auch heute wird auf der Ulmer Schachtel transportiert, wenn auch keine Naturalien, sondern die Idee der Freundschaft und Verbundenheit aller Donauländer. Und das schon vor Zeiten der EU, wie Grimmeiß betont. Der Verein der Donaufreunde wurde 1926 gegründet, mit Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs (wobei die Fahrten mit der Ulmer Schachtel zwischenzeitlich auch zu NS-Propaganda benutzt wurden) fanden und finden seither die Fahrten statt. Fast jeden Abend nehmen Grimmeiß und sein Team an einem Empfang teil, bei Bürgermeistern und Gemeinderäten, oft ist auch eine Blasmusikkapelle da, oder auch das ganze Dorf. In Wien hat lange Zeit der Bezirksvorsteher des zweiten Bezirks die Gäste in Empfang genommen, erzählt Grimmeiß. Die Donaufreunde sind im Übrigen auch während der Zeit des Eisernen Vorhangs bis nach Ungarn und Serbien gereist. Manchmal war ein Vertreter des Nachrichtendienstes der jeweiligen Länder auf dem Schiff mit dabei, manchmal sind sie parallel auf dem Land mitgefahren. „Es war politisch heikel", sagt Grimmeiß. Möglich war es trotzdem.

Insgesamt hat der Verein 140 Mitglieder, auf dem Schiff fahren platzbedingt 32 Personen mit. Männer, muss es richtig lauten. Er habe nicht vor, diese Regel zu ändern, betont Grimmeiß. Bei gemischten Fahrten, da seien die Männer unruhig wie die Gockel. Aber auch die Frauen der männlichen Donaufreunde können streckenweise mit dem Schiff fahren (dann eben nur mit weiblicher Besatzung). Heuer zum Beispiel übernehmen die Frauen die Strecke Wien-Bratislava. Was nicht heißt, dass es keine gemischten Fahrten auf der Schachtel gibt. Tatsächlich überlässt der Verein das Schiff alle paar Jahre - und zwar nach den Wahlen in Baden-Württemberg - dem Gemeinderat. Die neu gewählten Politiker fahren gemeinsam eine bestimmte Strecke, lernen sich kennen, parteipolitisches Geplänkel muss auf dem Festland bleiben, man kann schließlich nicht raus.

Die Fahrten der Donaufreunde hingegen finden generell im Juni oder Juli statt. Egal, wann die Herrschaften aufbrechen, am Schwörmontag, dem vorletzten Montag im Juli, müssen sie samt Schachtel wieder in Ulm sein. An diesem Feiertag schwört der Oberbürgermeister auf die Stadtverfassung, während die ganze Stadt die Donau belagert: Alles, was schwimmen kann, wird auch zum Schwimmen gebracht, Menschen, Boote, alles.

Im April hingegen fand die letzte Fahrt der historischen Ulmer Schachtel statt, wie erwähnt im Jahr 1897. Die Industrialisierung und die Eisenbahn liefen dem Wassertransport den Rang ab, allerdings dauerte es nur rund zehn Jahre, bis die ersten touristischen Fahrten mit einer neu gebauten Schachtel unternommen wurden. Die Ulmer Schachtel hat im Übrigen eine weitere historische Bedeutung: Auf ihr fuhren ab 1712 etliche Familien aus dem süddeutschen Raum in Länder wie Ungarn und Rumänien, um sich dort anzusiedeln; sie gingen als die „Donauschwaben" in die Geschichte ein. Die Ansiedlung sollte dazu dienen, die durch die Türkenkriege entvölkerten Gegenden wieder zu beleben. Apropos Türkenkriege: auch Soldaten wurden mit der Ulmer Schachtel „transportiert". Während der Zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 bestiegen 4000 Fußtruppen und 1000 Reiter hier die Schiffe, um den kaiserlichen Truppen zu helfen.

Serie Donautour

Diese Serie wird von der ''Presse''-Redaktion gestaltet. Sie ist mit finanzieller Unterstützung der Stadt Wien möglich geworden.

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