"Herrenwitz": Noch ein Flirt oder schon Belästigung?

Herrenwitz Noch Flirt oder
Herrenwitz Noch Flirt oder(c) REUTERS (THOMAS PETER)
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Der "Herrenwitz" ist dan FDP-Spitzenkandidat Brüderle wieder in aller Munde. Aber was ist das? Über den Unterschied zwischen Witz und Zote, zwischen Flirt und Belästigung.

Da hat sich also der FDP-Spitzenkandidat Brüderle über das Dekolleté der Journalistin Laura Himmelreich gebeugt und gesagt: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“ Er hat noch mehr gesagt – und auch noch mehr getan –, aber diese Bemerkung gab der Story, die Himmelreich für den „Stern“ schrieb, wohl den Titel: „Der Herrenwitz“.

Der „Herrenwitz“ ist ein altes Genre, man denkt an ein Raucherzimmer und an Männer mit Weinbrand. „Herrenwitze“ sind aus einer anderen Zeit, darum ging es der Autorin wohl auch. Sie wollte das Antiquierte herausstreichen. Die Hoffnung hinter diesem Titel: Die nachfolgende Generation wisse sich besser zu benehmen.

Trotzdem ist der „Herrenwitz“ nicht ausgestorben: Es gibt ihn noch, aber erstens heißt er anders – man spricht vom „sexistischen Witz“ oder „obszönen Witz“. Und er ist keineswegs eine Domäne der Männer: Frauen erzählen mit größtem Vergnügen sexistische Witze, nicht nur untereinander, sie erzählen sie den Männern, und Männer erzählen sie – manchmal – den Frauen. Der Witz beruht auf einem Spiel mit Klischees, einem Jonglieren mit und dem Enttäuschen von Erwartungen, und am erfolgreichsten sind Witze, die gerade jene Vorurteile, über die Männer gerne scherzen, gegen sie verwenden (oder eben umgekehrt). Es ist ein Spiel mit gleichen Waffen, diese Waffen sind Wortwitz und Schlagfertigkeit, weshalb es immer mehr Blondinenwitze gibt, in denen die Männer schlecht dastehen.

Und jetzt stellen wir uns eine Runde vor, in der ein fünfzigjähriger Abteilungsleiter eine Praktikantin beiseitenimmt und ihr ins Ohr flüstert: „Warum haben gute Frauen drei Knöpfe? Spülen, F***en, Aus.“

Nun könnte man den Unterschied zwischen Witz und Zote ausführen, wobei Brüderles Dirndl-Bemerkung und die drei Knöpfe in den Bereich der Zote fallen: Die Zote, also der obszöne Spruch, ist nach Freud „ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen“. An die Zote würden nicht dieselben Ansprüche gestellt wie an den Witz. „Die unverhüllte Nudität auszusprechen“ bereite Vergnügen genug. Die Zote muss nicht lustig sein, die Vorstellung eines prallen Dekolletés und das Aussprechen des F-Wortes reichen zur Belustigung.

Aber es ist nicht nur die Qualität, die einen Unterschied macht: Wer wissen will, wo der Witz aufhört und wo die Anzüglichkeit anfängt, der kommt zur Frage, was noch Flirt ist und was sexuelle Belästigung. Auch hier gilt: Der Flirt ist für alle Beteiligten lustvoll, er ist offen, er ist gleichberechtigt. Sexuelle Belästigung beginnt dort, wo einer Macht hat – und diese Macht auszunutzen droht. Wobei es unterschiedliche Formen der Macht gibt, die ein Mensch über den anderen ausüben kann.

„Na, Süße?“ – Das kann bedrohlich klingen

Da wäre etwa einmal die körperliche Überlegenheit – die heutzutage meist keine Rolle spielt. Aber manchmal eben doch: Ein hingeworfenes „Na, Süße“ auf einer Party kann eine Frau mit genervtem Augenrollen beantworten, sie kann schlagfertig kontern oder auf die Avancen eingehen, wenn ihr der etwas ungeschickte Sprüchereißer attraktiv erscheint. Ein „Na, Süße“ um zwei Uhr nachts in einer einsamen Straße ist dagegen Belästigung. Weil der Mann seine körperliche Überlegenheit einsetzen könnte. Die Frau fühlt sich bedroht.

Dann gibt es die emotionale Macht, die Eltern über ihre Kinder haben, die der „nette Onkel“ aufbaut und der „liebe Nachbar“, der sich um das Kind zu kümmern scheint. Kommt es zu sexuellen Handlungen, ist das darum Missbrauch. Aber nicht nur Kinder, auch Erwachsene können emotional abhängig sein: Der Psychiater etwa darf die „Übertragung“ – der Patient überträgt im Zuge der Therapie Gefühle auf den behandelnden Arzt – nicht ausnutzen. Es ist ihm deshalb verboten, sexuelle Beziehungen einzugehen.

Und dann gibt es das Machtgefälle aufgrund der Position, zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Meister und Lehrling, zwischen Chef und Mitarbeiterin. Viele jener Beispiele, von denen Frauen später auf Twitter erzählten, haben mit Machtmissbrauch dieser Sorte zu tun: Die alleinerziehende Mutter etwa, die sich vom Chef an den Busen greifen lässt, weil sie den Job braucht. Aber so deutlich sind die Beispiele nicht immer, hier sind die Grauzonen am grauesten.

Und Brüderle? Auf seinen Dirndl-Spruch hat Laura Himmelreich gekontert. Als er körperlich zudringlich wurde – Brüderles Pressesprecherin ging dazwischen – hat sie einen Artikel darüber geschrieben. Sie hat von ihrer Macht als Journalistin Gebrauch gemacht. Denn das macht dieses Beispiel wohl so komplex: Der FDP-Politiker verließ sich auf die Überlegenheit des alten Mannes über die junge Frau. Doch die ist passé.

Der Vorfall

„Der Herrenwitz“ nannte Laura Himmelreich ihren Artikel über FDP-Spitzenkandidat Brüderle im „Stern“: Brüderle hatte erst Bemerkungen über ihr Dekolleté gemacht. Beim Abschied wurde er zudringlich, die Pressesprecherin ging dazwischen und entschuldigte sich für sein Benehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2013)

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