Ägypten: Das gespaltene Land

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aegypten gespaltene Land(c) REUTERS (MOHAMED ABD EL GHANY)
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Ägyptens islamistischer Präsident will der Proteste jetzt mit der Armee Herr werden. Sein Gesprächsangebot wies die Opposition zurück. Der Staat zerfällt immer mehr entlang seiner vielen Bruchlinien. Eine Analyse.

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi ruft die Streitkräfte zu Hilfe, um die blutigen Proteste in den Straßen unter Kontrolle zu bringen. Wie am Montag bekannt wurde, soll das Militär eine Reihe polizeilicher Befugnisse erhalten. Oppositionsvertreter wiesen ein Angebot Mursis zu einem gemeinsamen Dialog zurück. Die Dauerdemonstrationen, der Unmut, der sich immer wieder Bahn bricht, zeigen, wie gespalten Ägypten ist. Das mehr als 80 Millionen Einwohner zählende Land wird von einer Reihe von Bruchlinien durchzogen.

• Politische Bruchlinien. Als vor zwei Jahren Zigtausende den Rücktritt von Machthaber Hosni Mubarak forderten, schienen die Fronten klar: hier Mubaraks Clique, dort eine bunte Oppositionskoalition, dazwischen das Militär. Nun sind die Fronten diffuser geworden. Auf dem Tahrir-Platz hatten Linke und Liberale neben Islamisten und Funktionären der Muslimbruderschaft demonstriert. Diese Koalition ist längst zerfallen: Linke und Liberale werfen den Muslimbrüdern vor, ein autoritäres System hochziehen zu wollen, und finden sich im selben Boot mit Ex-Mubarak-Anhängern, die vor einem islamistischen Regime warnen.

Die Bruchlinie verläuft aber nicht nur zwischen Islamisten und säkularen Kräften. Es gibt Aktivisten, die sich eine stärkere Rolle des Islam in der Gesellschaft wünschen, den Muslimbrüdern aber autoritäres Verhalten vorwerfen. Präsident Mursi wiederum greift auf die Strukturen des einstigen Regimes zurück: den Polizeiapparat, der seit Mubarak nicht reformiert worden ist, und das Militär.

• Konfessionelle Bruchlinien. Fast 90 Prozent der Ägypter sind sunnitische Muslime, dazu kommen Gemeinschaften wie Schiiten und Bahai sowie eine starke christliche Minderheit. Die Muslimbruderschaft wird nicht müde, den Christen zu versichern, dass sie gleichberechtigte Bürger seien. Zuletzt geriet die Minderheit aber immer wieder ins Visier von Extremisten.

• Regionale Bruchlinien. In Kairo jubelte man, als vergangene Woche 21 Fußballfans aus Port Said zum Tod verurteilt wurden. Die Männer sollen an der tödlichen Attacke auf Fans des Kairoer Klubs El Ahly vor einem Jahr beteiligt gewesen sein. El Ahly war Speerspitze im Kampf gegen Mubarak. In Port Said war man hingegen: wütend. Dort sieht man die Urteile als Bauernopfer, um die Straße in Kairo ruhig zu bekommen. Es ist nicht nur Konkurrenz zwischen Städten wie Port Said oder Kairo. Es ziehen sich noch andere regionale Bruchlinien durch das Land: Dazu gehören nicht nur große Unterschiede zwischen Stadt und Land, sondern auch Unterschiede zwischen Unterägypten und dem wirtschaftlich weitaus schwächeren Oberägypten.

• Soziale Bruchlinien. Ägyptens Wirtschaft müsste jährlich um mindestens sechs Prozent wachsen, um genügend Jobs bereitstellen zu können. Mit dem Einbruch der Wirtschaft nach der Revolution wächst die Kluft zwischen Arm und Reich weiter. In den Dörfern Oberägyptens, aber auch in vielen Bezirken Kairos herrscht bittere Armut. Vor allem die Islamisten geben sich als Wohltäter der sozial Schwachen. Die Führungsschicht der Bruderschaft gehört aber einer gebildeten, wirtschaftlich starken Elite an. Will die Bruderschaft an der Macht bleiben, muss sie für eine Verbesserung der sozialen Lage sorgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2013)

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