„Soll man Frauen auf den Busen gucken?“ Ein Text und seine Folgen

Medienkritik. Das „Stern“-Porträt über Rainer Brüderle hat es ins Fernsehen und alle deutschen Zeitungen geschafft. Die Diskussion über Sexismus im Alltag kommt häufig ohne sachliche Argumente aus. Vielleicht auch, weil der im „Stern“ beschriebene Vorfall viel Anlass zur Kritik gibt.

Die Kuh lebt! Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hat das recherchiert. Ein Redakteur des Blattes war in die 600-Seelen-Gemeinde Puls in Schleswig-Holstein gefahren. Dort hatte FDP-Mann Rainer Brüderle im Frühling 2012 den hochmodernen Melkstand eines Großbauernhofes besichtigt – und dabei anzügliche Witze über große Euter mit Körbchengröße 90 L und „die Erotisierung der Kuh“ gemacht. Auch das war in dem viel diskutierten „Stern“-Porträt über den FDP-Spitzenkandidaten zu lesen. Die „FAS“ fuhr zu diesem Stall, suchte die Kuh mit dem großen Euter, ihren Bauern und dessen Frau, die Brüderles Witze auch ein Jahr später nicht sexistisch finden.

Eine Stallreportage als Beitrag zur Sexismusdebatte? Eine lustige Idee, ja. Letztlich zeigt sie aber: Wenige Medien nehmen die Debatte wirklich ernst, auf den Brüderle-Zug springen sie dennoch auf. Dass das Thema verharmlost und verblödelt wird, liegt vor allem am Auslöser. Vieles lässt sich an dem Brüderle-Porträt im „Stern“ kritisieren: Es kommt erst ein Jahr nach den beschriebenen Ereignissen (also zu spät), und es riecht zu stark nach gewollter Kampagne. Der Tonfall der 29-jährigen Journalistin löst bei Kritikern, Männern wie Frauen, den Reflex aus: Hier macht eine Frau sich zum Opfer, den viel älteren Politiker zum Täter.

Unglückliche Wortwahl befeuert Kritik

Dass der „Stern“ kurz nach der Veröffentlichung der Geschichte massiv kritisiert wurde, hatte auch einen anderen Grund: Der Vizechef des Blattes kümmert sich Donnerstagvormittag um das Verbreiten der Geschichte im Internet, auf Twitter schreibt er irgendwann den unüberlegten Satz: „Wir müssen es konstatieren: Die Partei der Chauvis, Grapscher und Herrenreiter kommt immer noch locker über fünf Prozent.“ Für viele FDP-Mitglieder und -Wähler ist das eine Provokation, sie fühlen sich direkt angesprochen. Der Vizechef beschwichtigt, er habe nicht die Partei, sondern die vielen Machomänner gemeint, die sich über den Artikel auslassen. Der Schaden ist da schon angerichtet.

Noch eine Kritik muss sich der „Stern“ gefallen lassen: den Sexismus auf seinen Titelseiten. Der Tenor: Wer oft nackte Frauen oder Geschichten wie jene über die sadomasochistische Lust der Frauen (ausgelöst durch den Bestseller „Shades of Grey“) auf Seite eins hievt, um mehr Hefte zu verkaufen, dürfe keine falsche Prüderie bei harmlosen Altherrenwitzen an den Tag legen.

Doch der Medienkritik gehen manchmal die Argumente aus. Claudius Seidl, Feuilleton-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, wirft der „Stern“-Redakteurin in seiner bissigen Analyse ihres Textes zu Recht vor, sie habe sich ebenfalls grob unhöflich gegenüber Brüderle verhalten, als sie ihn gefragt hatte, „wie er es findet, im fortgeschrittenen Alter als Hoffnungsträger aufzusteigen“. Absurd ist sein Argument, sie sei selbst schuld, in eine solche Situation geraten zu sein, sie hätte sich nicht an der Hotelbar aufhalten müssen. Geschichten darf hoffentlich jeder da recherchieren, wo er will.

Richtig ratlos hinterlassen einen die anonymen Bekenntnisse von drei Redakteurinnen in derselben Ausgabe der „FAS“. In seltsam trotzigem Ton versuchen sie das Thema kleinzureden: Eine rechtfertigt blöde Sprüche von Männern damit, dass auch „Frauen so blöde Dinge“ sagen; die Zweite erklärt, sie finde nichts an schlüpfrigen Aussagen, und die Dritte behauptet, ihr sei noch nie „etwas Fieses“ passiert.

Günter Jauch verblödelt das Thema

Spätestens Sonntagabend war die Debatte auch in den deutschen (und österreichischen) Wohnzimmern angekommen: Bei Günter Jauch wurden Fragen wie „Soll man einer Frau noch auf den Busen gucken?“ gestellt; Autor Helmut Karasek durfte „Ja, soll man sogar“ sagen und: „Dazu sind Dirndln da.“ Jauch ließ sich auch nicht von den strengen Zwischenrufen Alice Schwarzers einbremsen, die ihn mehrmals ermahnte, das Thema nicht zu verblödeln. Zum Schluss lud er zum Trotz alle Gäste „an die Bar“, in Anspielung auf die Barszene im „Stern“-Text – und witzelte: „Ich hoffe, dass ich den Abend am Ende nicht nur mit den Männern verbringen muss.“ Diskutiert wird das Thema auch deshalb, weil sich jeder so leicht daran beteiligen kann. Und weil die Debatte so viele Aspekte und Involvierte hat. Wo doch sogar die Kuh im Stall gesucht wurde, die Brüderle mit seinen Sprüchen beleidigt haben soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2013)

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