Mursi legt in Berlin den Schongang ein

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Ägyptens Präsident Mohammed Mursi gab bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel den Musterdemokraten und gelobte Respekt vor allen Religionen. Der Staatschef des fast bankrotten Landes kam als Bittsteller.

Seine Reise nach Berlin hatte sich Mohammed Mursi anders vorgestellt. Geplant war das volle Programm: roter Teppich bei Präsident Gauck, Mittagessen mit Angela Merkel im Kanzleramt, eine Nacht im „Adlon“. Mit einem Besuch in Deutschland und Frankreich wollte der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens Normalität suggerieren. Der Präsident aus den Reihen der Muslimbrüder, so sollte die Botschaft lauten, hat die Lage im Griff, lässt sich als Vermittler im Nahostkonflikt loben und wirbt um Investoren.

Doch die Realität zuhause holte den 61-Jährigen ein. Auch in der Nacht auf Mittwoch gingen Armee und Polizei brutal gegen Demonstranten vor. Mehr als 50 Tote und hunderte Verletzte haben die Straßenschlachten seit Freitag gefordert. Im letzten Moment wurde der Besuch in Berlin auf einen Nachmittag zusammengestrichen, Paris gleich ganz ausgelassen.

Mursis Bilanz nach sieben Monaten im Amt: Islamisten und Liberale stehen sich unversöhnlicher gegenüber denn je, die Wirtschaft liegt darnieder, und um Gewaltenteilung, Pressefreiheit und Menschenrechte ist es kaum besser bestellt als zuzeiten des gestürzten Diktators Hosni Mubarak.

So wurde der „neue Pharao“ mit großer Skepsis in Berlin empfangen. Zumal er das Stigma eines rabiaten Antisemiten trägt, was für deutsche Politiker besonders heikel ist. Wie mit einem Gast umgehen, der vor drei Jahren Juden als „Blutsauger“ und „Nachfahren von Affen und Schweinen“ bezeichnete? Der dazu aufforderte, Kinder zum Judenhass zu erziehen? Die Zitate seien aus dem Kontext gerissen, verteidigte sich Mursi gegenüber Merkel. Der Islam verpflichte ihn dazu, alle Religionen zu respektieren. Und das Ägypten von morgen werde ein ziviler Rechtsstaat sein, weder militärischer noch religiöser Natur, der abweichende Meinungen ebenso zulassen werde wie Machtwechsel.

Strammer Ideologe

Die Rolle, die Mursi in Berlin gab, hat er gut einstudiert: die des gemäßigten Islamo-Demokraten. Er, der sechs Jahre in den USA lebte, weiß, was man im Westen gerne hört. Er werde Präsident aller Ägypter sein, zitierte er nach seiner Wahl Mitte 2012 akzentfrei aus dem Handbuch der Politfloskeln. Mursi kann bescheiden und unaufgeregt auftreten und bekam bisweilen das Etikett „moderat“ angeheftet.

Doch das ist er nicht. Der Sohn eines Bauern gehört in der Bruderschaft zu den strammen Ideologen und kann ganz andere Töne anschlagen. Das klingt dann so: „Der Koran ist unsere Verfassung, die Scharia unser Gesetz.“ Die Scharia garantiere doch die Rechte von Muslimen wie Nicht-Muslimen, Ägyptens Christen könnten doch weiterhin nach ihrem religiösen Kodex leben, erläutert er dann westlichen Journalisten und glaubt, damit beruhigen zu können.

Es ist diese Mechanik der ausweichenden Antworten, die der Ingenieur Mursi perfekt beherrscht. Gefragt, ob die Bruderschaft den Genuss von Alkohol verbieten wolle, meinte er 2011: Dies komme nur dem Parlament zu. Dass die Islamisten das ein halbes Jahr später gewählte Parlament dominieren würden, war da freilich längst klar.

Es lohnt auch, Äußerungen auszugraben, die länger zurückliegen. So gab Mursi 2005 im Parlament beherzt den Kulturkämpfer, der freizügige Musikvideos verbieten wollte, da sie zu einer „Erosion moralischer Normen“ führten. Zwei Jahre später stand in einem maßgeblich von ihm verfassten Entwurf einer islamistischen Ideal-Verfassung zu lesen, dass Frauen und Nicht-Muslime nicht Staatsoberhaupt werden dürften und ein Klerikerbeirat über Parlament und Regierung wachen sollte.

Laut seinem Bruder war Mursi nicht immer ein religiöser Hardliner. Dazu habe ihn erst sein Studium in den USA gemacht. Dort zog er sich eine heftige Abneigung gegen den westlichen Lebensstil zu. Zwei seiner fünf Kinder, die in den USA geboren wurden, sind indes Staatsbürger des von ihm heute verachteten Landes.

Keine Angst vor Widersprüchen

Doch Widersprüche machen Mursi nichts aus. Nein, man werde keinen Kandidaten für die Präsidentenwahl aufstellen, sagte Mitte 2011 der damalige Chef der neuen „Partei für Gerechtigkeit und Freiheit“. Sein Name: Mohammed Mursi. Ein Jahr später war er Präsident.

Wohlwollend ließen sich diese Widersprüche als Pragmatismus deuten. Pragmatisch wird Mursi auch agieren müssen, um seinen Staat vor dem Bankrott zu retten. Er kam als Bittsteller nach Berlin, wo Ägypten mit 2,5Mrd. Euro in der Kreide steht. Ein vereinbarter Schuldenerlass von 240Mio. liegt auf Eis, dringend nötige Investitionen aus Europa bleiben wegen der instabilen Lage ebenso aus wie die Touristen. Mursi aber weiß: Wenn sich die Wirtschaft nicht erholt, kann auch er sich nicht halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2013)

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