Kapsch: „Wir haben zu wenig Freiheit“

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Es gebe keine wirklich liberale Partei in Österreich, sagt LIF-Veteran und Präsident der Industriellenvereinigung Georg Kapsch. Ein Potenzial von rund 15 Prozent in der Bevölkerung sei jedoch da.

Die Presse: Im Herbst sind Nationalratswahlen. Mit dem BZÖ, Stronach und Neos rittern gleich drei Parteien um liberale Wähler. Wo fühlt sich ein Liberaler wie Sie da heute zu Hause?

Georg Kapsch: Liberalismus hat es in Österreich immer schwer gehabt. Es reklamieren zwar viele für sich, dass sie liberal sind. Aber für mich gilt das nur, wenn man liberale Grundsätze sowohl in der Wirtschaft als auch in der Gesellschaft vertritt. Und das trifft hierzulande auf keine Partei zu.

Auch das Liberale Forum, das Sie ja entscheidend mitgeprägt haben, ist letztlich gescheitert. Gibt es in Österreich überhaupt Potenzial für eine echte liberale Partei?

Ich glaube schon, dass es Potenzial gibt. Liberalismus wird zwar nie mehrheitsfähig sein, aber das Potenzial von rund 15 Prozent in der Bevölkerung ist da.

Warum ist es dem Liberalen Forum nicht gelungen, diese Wähler an sich zu binden?

Das LIF hat sich in eine Richtung entwickelt, in der sich viele Menschen nicht mehr wiedergefunden haben. Der wirtschaftliche Teil war marginalisiert. Und im gesellschaftspolitischen Teil sind nur ganz spezielle Themen gespielt worden, die nicht einmal die angezogen haben, für die sie gedacht waren.

Also zu elitär, zu abgehoben, zu links?

Ich würde nicht sagen zu links. Zu konzentriert auf ganz bestimmte Themen. Oder würden Sie das Thema der Gleichsetzung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften als links bezeichnen?

Die Marginalisierung der Wirtschaft in jedem Fall.

Nicht zielführend war das völlige Abrücken in ein ganz enges Spektrum der Gesellschaftspolitik. Das war der Grund, warum viele, die anfangs mit Begeisterung dabei waren, der Partei den Rücken gekehrt haben.

Stronach versucht jetzt, diese Lücke zu füllen, und setzt stark auf Wirtschaftsliberalismus. Hätte das LIF damals einen wie ihn brauchen können?

Nein, das wäre ein Kulturbruch gewesen.

Wer war denn nun verantwortlich für die Entwicklung? Heide Schmidt?

Ich möchte Heide Schmidt nicht über die Zeitung ausrichten, was ich über ihre Führung der Partei denke. Das tue ich nicht.

Sie bezeichnen sich selbst als Sozialliberalen, was manche mit linksliberal gleichsetzen. Fühlen Sie sich da richtig eingeordnet?

Für mich gibt es die Kategorisierung links und rechts nicht. Ich habe ein Problem damit, wenn es darum geht, Österreich noch weiter in Richtung Versorgungsstaat zu treiben. Aber ich bin sicher kein Anhänger des Neoliberalismus. Der Markt kann nicht alles regeln, aber vieles. Der Staat muss die Grenze finden, bis wohin er regulieren muss und ab wo es schädlich wird.

Sind die Grenzen heute zu weit oder zu eng?

Die Grenzen sind zu eng. Wir haben zu wenig Freiheit. Wir engen die Freiheit des Individuums laufend ein. Denken Sie nur an das Thema Vorratsdatenspeicherung. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft. Auch hier engen wir die Unternehmen ein.

Jüngst hat die IV eine Studie präsentiert, die Investitionen in Bahninfrastruktur als Retter aus der Krise angeführt hat. Ist das eine liberale Position?

Bei der Studie ging es vor allem um die technologische Stärke der Bahninfrastruktur. In einem Nebensatz wurde dann gesagt, dass wir ohne Investitionen der ÖBB noch eine Rezession gehabt hätten. Das heißt aber nicht, dass die ÖBB ein Instrument des Keynesianismus sein sollen. Außerdem hat Keynes in seinem Modell vorgesehen, dass der Staat in konjunkturell schwachen Zeiten investiert, in starken Zeiten aber Überschüsse erzielt werden.

Kann man in einem Land wie Österreich, wo seit 1954 keine Überschüsse erzielt wurden, noch Argumente für Keynes bringen?

Eigentlich nicht. Laut Studien hat ab einer Staatsverschuldung von 75 Prozent jede weitere Investition außer in Forschung und Bildung keinen wachstumsfördernden Effekt. Ab 90 Prozent Verschuldung ist sie sogar kontraproduktiv. Wir haben ein Niveau erreicht, bei dem das keynesianische Modell nicht mehr funktioniert. Zu bedenken ist jedoch: Seit 1975 sind die öffentlichen Investitionen um zwei Prozent des BIPs zurückgegangen, die sozialen Transferleistungen um acht Prozent gestiegen. Es braucht vor allem Reformen im Gesundheits- und Pensionssystem. Wenn bei uns noch so viele Menschen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren arbeiten würden wie in Deutschland, würden wir uns jedes Jahr einen staatlichen Pensionszuschuss in der Höhe von sieben Milliarden Euro ersparen.

Laut Gewerkschaften werden ältere Arbeitnehmer von der Wirtschaft in die Pension getrieben, weil sie zu teuer sind. Auch Ihr Vorgänger als IV-Präsident, Veit Sorger, meinte vor zwei Jahren: „Ja, wir haben uns lange so verhalten.“

Ich sage Ihnen nichts anderes. Das war früher sicher ein Fehler. Die Unternehmen haben die gesetzlichen Maßnahmen in einem übergroßen Ausmaß genützt. Allerdings kann man ihnen dafür eigentlich keinen Vorwurf machen. Deshalb ist der Gesetzgeber aufgerufen, hier einen Riegel vorzuschieben. Sowohl die Hacklerregelung als auch die Altersteilzeit müssen abgeschafft werden. Und die Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters auf 65 Jahre könnte auch bis 2020 erfolgen und nicht erst bis 2033.

Viele der von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen werden seit Jahrzehnten diskutiert. Warum ist bisher nichts passiert? Ist der Widerstand zu groß, oder sind die Regierungen zu durchsetzungsschwach?

Es ist das zu starke Festhalten am Gewohnten – von allen Seiten. Neues wird grundsätzlich einmal als Gefahr gesehen. Wir brauchen mehr offenen Diskurs darüber, wie dieses Land aussehen soll und was wir dafür brauchen. Und daran sollten sich alle Bevölkerungsgruppen beteiligen und die Maßnahmen auch mittragen.

Sind die Österreicher hier neuerungsfeindlicher als die Schweizer oder die Deutschen?

Man ist auf jeden Fall sehr verliebt in Gewohntes. Und das ist eine Herausforderung.

Das macht es auch so schwierig für den Liberalismus in Österreich.

Das stimmt. Wir haben den Menschen über Jahrzehnte eingeredet: Der Staat ist für dich da. Das soll auch so sein, wenn man ihn wirklich braucht. Dass deswegen grundsätzlich nur in Ansprüchen und nicht in Leistung gedacht wird, schmerzt mich schon. Denn Leistung ist die Basis für Solidarität. Ohne die Leistungen der Einzelnen gibt es nichts, was wir als Gesellschaft verteilen können.

Zur Person

Georg Kapsch ist seit Juni 2012 Präsident der Industriellenvereinigung. In den 1990er-Jahren war er bei Aufbau und Führung des Liberalen Forums aktiv. Kapsch war Stellvertreter von Heide Schmidt in der Wiener Landespartei und Mitglied des Bundesvorstands. Seit 2001 leitet der 53-Jährige zudem die mehrheitlich in Familienbesitz stehende Kapsch-Firmengruppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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