Bürgerrechte auch für Burschenschafter?

Die einzige Randgruppe, die nicht auf den Schutz der Zivilgesellschaft bauen kann, sind die viel gescholtenen Burschenschafter.

Um einen dramatischen Vergleich zu ziehen: Würde der Wiener Polizeipräsident dem Opfer einer Vergewaltigung öffentlich ausrichten lassen, es hätte halt nicht mit einem superkurzen Minirock provozieren sollen, dann hätte er nicht nur seine Genossin Heinisch-Hosek am Halse, nein, dann wäre er mit Sicherheit seine Reputation, möglicherweise aber auch sein Amt los.

Wenn er jedoch den Opfern gewaltsamer Übergriffe der linksextremen Anarchoszene im Vorfeld eines Wiener Traditionsballs mitteilen lässt, sie hätten halt nicht just durch die Demonstranten zur Veranstaltungsstätte, der Wiener Hofburg nämlich, gehen sollen, das sei schlicht und einfach Provokation, dann regt sich kaum jemand auf. Wohl wissend, dass zur Zeit der Balleröffnung alle Wege zur Hofburg, auch für Taxis, von Demonstranten blockiert waren.

Dann wären sie doch zu Hause geblieben, könnte uns der Herr Polizeipräsident nun noch mitteilen. Was sich wahrscheinlich insgeheim auch viele der politisch Verantwortlichen in der rot-grünen Wiener Stadtregierung denken, da sie von Versammlungsfreiheit für mutmaßliche „Rechtsextremisten“ nicht allzu viel halten.

Grundrechte gelten für alle

Wenn diese schon unbedingt darauf bestünden, ein Nobelgschnas in Smoking, Frack und Abendkleidern, die Herren versehen mit kuriosen Mützchen, abzuführen, dann müssten sie es halt auch aushalten, mit der gerechten Empörung junger idealistischer Antifaschisten konfrontiert zu werden. Und man werde doch das Recht auf Demonstrationsfreiheit nicht einschränken. Schließlich könne man nicht ganz Wien absperren, nur weil es einige „Ewiggestrige“ so wollten.

So weit die mutmaßliche Argumentation jener, die für die Geschehnisse im Vorfeld des Wiener Akademikerballs am vergangenen Freitag verantwortlich sind.

Nun ist das so eine Sache mit den Grund- und Freiheitsrechten, die ja just aus dem Jahre 1848 datieren, in dem die ach so viel gescholtenen Burschenschafter erstmals in Österreich die politische Bühne betraten, weil sie für Freiheit und ebendiese Bürgerrechte kämpften. Diese Grund- und Freiheitsrechte gelten nämlich für alle im Lande, insbesondere natürlich für unbescholtene Bürger und brave Steuerzahler.

Sie haben das Recht, ihre Meinung frei zu äußern, sie müssen in den Genuss der Pressefreiheit kommen, und sie haben natürlich auch das Recht, sich frei zu versammeln, also ungehindert Veranstaltungen abzuführen – etwa auch einen Ball. Und die Exekutive des Landes, in unserm Fall die Wiener Polizei, hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diese Rechte zu gewährleisten.

Verharmlosende Argumente, dass Kollateralschäden eben bei 3000 Demonstranten unvermeidlich seien, zählen da nichts. Jeder gewalttätige Übergriff, jede Beschimpfung, Bespuckung, Bedrohung ist im Rechtsstaat bereits zu viel und hat sofort unterbunden zu werden.

Natürlich gibt es auch die Demonstrationsfreiheit und damit das Recht, gegen ordnungsgemäß angemeldete Veranstaltungen, wie eben den Ball, zu demonstrieren. Wenn man aber vonseiten der Exekutive aufgrund jahrelanger Erfahrungen weiß, dass diese Demonstrationen regelmäßig in gewalttätigen Übergriffen auf die Ballbesucher, aber auch auf die Polizei und auf Sachwerte enden, hat die Exekutive für eine Präventivstrategie zu sorgen.

Und die besteht zumindest in einer entsprechenden räumlichen Trennung von Veranstaltung und Gegendemonstration. Wenn es nicht genehmigte Zusammenrottungen der Demonstranten gibt und diese gewalttätig werden, wären sie auch sofort aufzulösen, um die Sicherheit der Veranstaltungsbesucher zu gewährleisten.

All das ist im Falle der Krawalle rund um den vergangenen Akademikerball in der Wiener Innenstadt nicht in ausreichendem Ausmaß geschehen. Natürlich waren die Einsatzbeamten vor Ort besten Willens, von der Führung aber offenbar instruiert, nicht einzugreifen. Und bisweilen schien sich diese Führung überhaupt – was die Kommunikation betrifft – abgemeldet zu haben.

Der Herr Polizeipräsident spricht indessen von einem optimalen Einsatz mit „nur“ vier Leichtverletzten und ein, zwei Dutzend Verhafteten. Wer zu Schaden gekommen sei, wäre selbst schuld. Man dürfe eben nicht mit einem „Austria-Schal im Rapid-Sektor“ sitzen. Wobei der Herr Polizeipräsident offenbar der Meinung ist, dass der Austria-Anhänger im Rapid-Sektor zum Abschuss freigegeben sei. Merkwürdiges Rechtsverständnis.

Die Häme, mit der aus dem Umfeld der etablierten Politik und der Mainstream-Medien all diese Vorgänge beobachtet und kommentiert wurden, stellt allerdings auch ein merkwürdiges Phänomen dar.

Normalerweise gilt es als eines der obersten Gebote unserer Zivilgesellschaft, Randgruppen jedweder Art zu schützen bzw. politisch korrekt zu respektieren. Jedwede ethnische Minderheit, speziell Zuwanderergruppen aus allen Teilen der Welt, natürlich Menschen mit unorthodoxer sexueller Orientierung, Schwule, Lesben etc., sie alle können auf die Achtung und auf den Schutz der Zivilgesellschaft und der ihnen nachgeordneten Medien bauen.

Die einzige Randgruppe – rein zahlenmäßig sind sie nämlich eine Randgruppe und so etwas wie eine studentisch-akademische Sonderkultur geworden –, die darauf in diesem Lande nicht bauen kann, sind die viel gescholtenen Burschenschafter. Dass es sich dabei um eine Vielfalt anderer Korporationstypen wie Sänger, Turner, Corpsstudenten etc. handelt, spielt in der medialen Verkürzung der Debatte keine Rolle.

Irrwege hatten alle Parteien

Warum das so ist? Offensichtlich wegen der vielfach nachzuweisenden Nähe zum Rechtsextremismus, der dort immer wieder geübten Verharmlosung des Nationalsozialismus und archaischen, brutalen Sitten wie der Mensur, bekommt man da als Antwort aus dem Munde zeitgeistiger Kommentatoren. Weniger häufig schon wird offen gesagt, dass es auch die starke Präsenz dieser Korporierten in der größten Oppositionspartei des Landes ist, welche Antipathien hervorruft.

Antidemokratische Irrwege haben in der jüngeren Geschichte Österreichs alle politisch-ideologischen Lager zu verzeichnen. Die Sozialdemokraten schwärmten in der Ersten Republik von der „Diktatur des Proletariats“, die Christlich-Sozialen errichteten den autoritären Ständestaat, und das deutsch-freiheitliche Lager, an seiner Spitze die Vertreter der studentischen Korporationen, erlagen zum Teil der schrecklichen Versuchung des Nationalsozialismus.

Geläutert und verändert haben alle drei klassischen Lager in der Zweiten Republik neue politische Rollen eingenommen. Dort wo sie rechtsstaatlich gesichert und demokratisch legitimiert wirken, gebührt ihnen allen der gleiche Respekt und Schutz des Gemeinwesens.

Auch den offenbar von vielen unverstandenen national-freiheitlichen Korporationen.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comAndreas Mölzer (geb. am 2.12. 1952 in Leoben) studierte Jus, Geschichte und Volkskunde an der Uni Graz. Seit 2004 Abgeordneter der FPÖ im Europaparlament. Seit 1997 Mitherausgeber und Chefredakteur der von ihm mitbegründeten deutschnationalen Wochenzeitung „Zur Zeit“. Zahlreiche Publikationen. [Clemens Fabry]

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2013)

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