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„Operettenniveau und „dÖSIge“ Ösis: Internationale Pressestimmen zum SPÖ-Debakel

Der verheerende Irrtum bei der Auszählung erregte auch in den Nachbarländern Aufsehen.
Der verheerende Irrtum bei der Auszählung erregte auch in den Nachbarländern Aufsehen.(c) APA (GEORG HOCHMUTH)
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Der „Spiegel“ schreibt über „Österreich, die schlampige Republik“. Die österreichische Politik werde „nie langweilig“, bemerkt die „Süddeutsche Zeitung“.

Die internationalen Zeitungen schreiben nach dem überraschenden Bekanntwerden der Auszählungspanne rund um den SPÖ-Parteivorsitz, durch das überraschend Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler statt des ursprünglich verkündeten Hans Peter Doskozil Parteichef wurde:

„Süddeutsche Zeitung“ (München):
„Es heißt ja, österreichische Politik werde nie langweilig, und tatsächlich hatten die vergangenen Jahre, vom Aufstieg des ÖVP-Stars Sebastian Kurz über das Ibiza-Video bis zu zahlreichen Korruptionsermittlungen, reichlich Stoff für Schlagzeilen hergegeben. Nun ist eine neue hinzugekommen, die diesmal die SPÖ betrifft, und eines ist gewiss: Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Denn am Montagnachmittag wurde bekannt, dass die österreichischen Sozialdemokraten am vergangenen Samstag auf ihrem außerordentlichen Parteitag den falschen Parteichef gekürt haben. (...)

Ansonsten gibt es im Machtkampf der Sozialdemokraten mehr als einen Überraschungssieger: All jene, die Babler unterstützt hatten, darunter die Wiener SPÖ, die Gewerkschaften, die SP-Frauen, dürften nun jubeln. Und auch die etwa 10.000 neuen Mitglieder, die mutmaßlich wegen des Traiskirchners in die Partei eingetreten und sich von diesem mehr Schwung, mehr inhaltliche Debatten, mehr Beteiligung der Basis und eine klare Abgrenzung gegen die Regierungspolitik erhofft hatten, dürften jubeln.“

„Neue Zürcher Zeitung“ unter dem Titel „Die SPÖ macht sich zur Giraffe“:
„Vielleicht hätte die SPÖ einfach die Giraffe aus dem Zoo Schönbrunn wählen sollen, die ein findiger Journalist vor einigen Wochen für die Kandidatenliste angemeldet hatte. Jedenfalls hätte sie kaum mehr Spott geerntet, als sie nun dafür erhält, am Samstag den Falschen zum Vorsitzenden gekürt zu haben.

Doch die Delegierten hatten nicht den Kandidaten der Vernunft gewählt, der seit vier Jahren im Burgenland regiert und 2020 als einziger Sozialdemokrat in den letzten Jahren einen bedeutenden Wahlsieg feiern konnte. Tatsächlich war der Gewinner Andreas Babler, der in den letzten Wochen mit einem pointiert linken Kurs Begeisterung an der Basis ausgelöst hatte.
Mit ihm geht die Partei ein hohes Risiko ein. Bablers Exekutiverfahrung beschränkt sich auf eine Kleinstadt mit 19 000 Einwohnern, die indes regelmässig im nationalen Fokus steht. In Traiskirchen befindet sich das grösste Erstaufnahmelager für Asylsuchende, das immer wieder hoffnungslos überlastet ist. Babler fand in dieser explosiven Situation den richtigen Ton. Im Januar wurde er hervorragend wiedergewählt. Wie er sich in der Bundespolitik schlagen wird, ist dagegen ungewiss. In den vergangenen Wochen bezeichnete er sich als Marxisten und propagierte eine 32-Stunden-Woche ohne Lohneinbusse. Drei Jahre alte Aussagen, wonach die EU ein „aggressives militärisches Bündnis“ und „schlimmer als die Nato“ ist, sorgten beim Parteiestablishment für Konsternation. Babler musste eilig zurückrudern.“

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“:
„Andreas Babler hat ein Geschick dafür entwickelt, aus der Außenseiterposition Erfolge zu erringen. Aber mit der Wendung, die der Kampf um den SPÖ-Vorsitz am Montag genommen hat, kann auch er selbst nicht mehr gerechnet haben. Nicht als Außenseiter, sondern als vermeintlich Unterlegener ist ihm der Sieg plötzlich zugesprochen worden. (...)
Babler hat es verstanden, mit seiner Mischung aus linker Rhetorik, Anti-Establishment-Auftreten und volkstümlicher Sprachfärbung das Herz einer Mehrzahl der Delegierten zu gewinnen. So groß ist offensichtlich das Bedürfnis, die SPÖ möge wieder ‚zu sich selbst finden‘. (...)

Ob Babler auf diese Weise auch außerhalb der SPÖ-Funktionärsblase und Twitter-Gefolgschaft Mehrheiten erringen kann, wird sich bei den 2024 anstehenden Nationalratswahlen erweisen. Immerhin, in Traiskirchen gewann er mit über 70 Prozent.“

„spiegel.de (Hamburg) unter dem Titel „Österreich, die schlampige Republik“:
„Es ist schon wieder passiert. Aus der österreichischen Innenpolitik dringt erneut eine Nachricht, die außerhalb des Alpenlandes für Ungläubigkeit sorgt, weil sie einfach nur grotesk klingt: Bei der Stichwahl zum neuen Chef der Sozialdemokratischen Partei wurde das Ergebnis der beiden Kandidaten vertauscht. Ja, einfach vertauscht. Excel-Tabelle, ‚technischer Fehler‘, hieß es entschuldigend - eine lächerliche Ausrede. Nein, nicht die Technik, sondern allein Menschen tragen Schuld an dem Schlammassel. (...)
Nein, lustig ist an dieser folgenreichen Schluderei nichts, sie kann gefährliche Folgen nach sich ziehen. Denn dieses Operettenniveau lässt das Misstrauen gegen die demokratische Mitte wuchern. Wie wollen die Sozialdemokraten das Land führen, wenn sie schon an einem simplen Wahlvorgang mit ein paar hundert Stimmen scheitern? Wer sich selbst lächerlich macht, wird nicht gewählt (Satireparteien ausgenommen).“

„zeit.de“ (Hamburg):
„Mit Babler an der Spitze steht der SPÖ wohl eine größere Veränderung bevor als unter einem Parteichef Doskozil. Kein Kandidat des Establishments, scharte er im Eiltempo eine Bewegung um sich, Tausende traten wegen ihm ein, feierten ihn als linken Visionär, als Genossen, der die SPÖ nach links rückt, der, so die Hoffnung, nicht Inhalte für den Machterhalt opfert. Diese Aufbruchstimmung wurde unterschätzt, von Journalisten, von Funktionären, von allen. Babler war der Außenseiter, doch seine Sogwirkung enorm. An der Parteispitze wird Babler zur Projektionsfläche, auch für seine Gegner. Sie sehen in ihm einen unverbesserlichen Linksradikalen, seine Aussagen über die Europäische Union (‚das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat‘) und seine ‚marxistische Brille‘ bieten seinen Gegnern weiter Angriffsflächen.“

„St. Galler Tagblatt“:
„Dass Österreichs wirrem innenpolitischen Leben noch ein Krönchen aufgesetzt werden könnte, schien eigentlich kaum zu glauben. Bis zum Montag. Erst am Samstag hatte die sozialdemokratische SPÖ auf ihrem Parteitag nach zähem Ringen, Gepolter und Intrigen einen neuen Parteichef gekürt: Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes. Am Montag jedoch nahm die Geschichte eine dramatische Wende.

Denn plötzlich hiess es: Die Stimmen wurden vertauscht, gewonnen habe eigentlich der andere. Nämlich Andreas Babler, bisher Bürgermeister von Traiskirchen, einer Gemeinde südlich von Wien. (...) Der Wechsel an der Spitze nach dem Wechsel an der Spitze scheint damit fix. So fix, wie etwas eben sein kann in dieser Partei, die seit nun fast einem halben Jahr praktisch um sich selbst kreist - mit immer wieder überraschenden Wendungen.“

„Passauer Neue Presse“:
„Die glücklose SPÖ, unter Wählerschwindsucht leidend und kein Rezept dagegen findend, hat Historisches vollbracht und bei der Wahl ihres Parteichefs die Stimmen vertauscht. Am Wochenende rief sie Hans Peter Doskozil zum neuen Vorsitzenden aus, gestern hieß es: Hoppala, da ist uns ein kleiner Irrtum unterlaufen. Gewonnen hat nicht Doskozil, sondern der Zweitplatzierte Andreas Babler. Wie kam es überhaupt zur Neuauszählung? Beim offiziell verkündeten Ergebnis hatte eine Stimme gefehlt. Da zählte die Wahlleiterin gewissenhaft nach - und fand sie. Gleichzeitig entdeckte die arme Frau aber auch, dass die Stimmen insgesamt den beiden Kandidaten falsch herum zugeordnet worden waren. Ein böser Excel-Dateifehler!

Damit hat sich die vom Pech verfolgte SPÖ mit einem Schlag zum Gespött gemacht. Der plötzliche Wahlverlierer Doskozil wertete den Fauxpas, der in seiner Tölpelhaftigkeit an die FPÖ-Ibiza-Affäre heranreicht, als ‚Tiefpunkt in der österreichischen Sozialdemokratie‘.“

„Bild“ (Berlin):
„Wie dÖSIg sind die denn?“

(APA)

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