Amanshausers Album

Heimatgefühle und Wiener Grant


Nirgendwo auf der Welt wird man so uncharmant zurechtgewiesen wie in Österreich. Aber die muffige Stimmung färbt natürlich ab und hat ihren Reiz. 
Nirgendwo auf der Welt wird man so uncharmant zurechtgewiesen wie in Österreich. Aber die muffige Stimmung färbt natürlich ab und hat ihren Reiz. Clemens Fabry
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Über den wichtigsten Reisesatz des 20. Jahrhunderts und Gastfreundschaft in der Fremde.

Nach einem halben Jahr in den USA kam ich nach Wien zurück, und die Umstellung war denkbar groß. Plötzlich war rundherum niemand mehr zuvorkommend und freundlich. Die Menschen drängten wie Affen in die U-Bahn-Waggons und benützten dabei sogar die Ellbogen. Als das erste Mal jemand „Des ist verboten, können S’ leicht ned lesen?“ zu mir sagte, durchströmte mich trotzdem ein warmes Heimatgefühl. Nirgendwo auf der Welt, schien mir, wird man so uncharmant zurechtgewiesen wie in der österreichischen Hauptstadt. Die muffige Stimmung, vor allem bei der älteren Generation – aber auch, zum Beispiel, zwischen Auto- und Fahrradfahrern – hat ihren Reiz, und sie färbt natürlich ab.

Wenn ich zu lang daheim bin, werde ich schließlich der üblen Laune und schlechten Erziehung überdrüssig. ­Vielleicht ist das ja einer der Gründe für dieses unstete, destabilisierende Leben eines Reiseautors mit seinem dauernden Kommen und Gehen. In anderen Ländern verwandle ich mich umgehend zu einer besseren Version von mir selbst, halte anderen Türen auf, lächle die Umstehenden verwegen an und pfeife leise „ich bin der Anton aus Tirol“ vor mich hin. Und überall kommen sie mir mit dieser ausgesuchten Höflichkeit und Hilfsbereitschaft entgegen.

„I have always depended on the kindness of strangers“, schrieb Tennessee ­Williams in „A Streetcar Named Desire“, für mich der wichtigste Reisesatz des 20.  Jahrhunderts. In vielen Ländern kann man dieses genuine wohlgesonnene ­Entgegenkommen gegenüber Fremden beobachten, das man Gastfreundschaft nennt. Manchmal wird mir die Nettigkeit sogar zu viel, namentlich in orientalischen Ländern, wo eine Sonderform davon sich gern in einem „Sit down for a cup of tea“ ausdrückt, mehr oder weniger sofort übergehend in ein Verkaufsgespräch. Da sitz’ ich dann halbgemütlich da, nippe am übersüßten Tee und überlege, wie ich mich der Situation ohne Affront entziehen kann.

Übertriebene Gastfreundschaft, mag sie auch echt sein, setzt mich ohnehin unter Druck. Insofern fühle ich mich in Ländern wie China, wo alles sehr pragmatisch abläuft – manche nennen es brutal – am wohlsten.


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