Gastkommentar SPÖ

Falsch und richtig

Das Logo der SPÖ aufgenommen am Freitag, 12. Juni 2015, an der Parteizentrale in der Löwelstraße in Wien.
Das Logo der SPÖ aufgenommen am Freitag, 12. Juni 2015, an der Parteizentrale in der Löwelstraße in Wien. APA/Helmut Fohringer
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Wir mögen die Sozialdemokratie verspotten, die scheinbar eins und eins nicht zusammenzählen kann. Doch vielleicht hält uns das auch einen Spiegel vor.

Der Autor

Martin Prinz (* 1973) aufgewachsen in Lilienfeld (NÖ), studierte Theaterwissenschaft und Germanistik, lebt als Schriftsteller in Wien. Zuletzt erschienen: der Roman „Die unsichtbaren Seiten“ und „Der Weg zurück. Eine Sporterzählung“ (beide bei Insel). Die dem Text zugrunde liegende Recherche stammt aus der Arbeit an dem Romanzyklus „Im Krieg“. (Foto: Suhrkamp Verlag, Lukas Beck.

Zwei Tage lang hatte die SPÖ den falschen Vorsitzenden. Und das nicht etwa, da die politische Strategie des Falschen der sogenannten politischen Mitte gegolten hätte, sondern da bei der Auszählung der Parteitagsstimmen der automatische Schlüssel einer Zahlenkombinatorik eingesetzt wurde, an dem so gut wie gar nichts falsch war, wenn es darum ging, auf gut österreichisch jemand dadurch zu wählen, indem man bloß abzählte, wer die entsprechende Person nicht gewählt hatte.

„Streichungen“ nennt der politische Jargon ein System, das dort zur Perfektionierung kommt, wo es bei Wahlen keine Alternativen gibt, wie das gerade in diesem Land und seiner Streitkultur oft genug der Fall ist. Gezählt werden dann nur die sogenannten Streichungen. Wo solche Negation zur Gewohnheit wird, verhallt alles, was man mit Sigmund Freud darüber im Vorhinein bereits hätte wissen müssen.

Nur auf Negation zu zählen, ist aber nicht nur zutiefst österreichisch, sondern politisches Programm so vieler, die mit Erschöpfung, Sorge, Wut, Ratlosigkeit und Abstumpfung ihr Spiel treiben. Nicht nur in Österreich wird mit derartiger Vortäuschung von Politik seit langem bestes Geschäft gemacht, in Zeiten von Krise und Krieg geschieht es in ganz Europa.

Beinahe wäre es niemandem aufgefallen

Auch die Sozialdemokratie hätte am letzten Wochenende beinahe nicht bloß allein die Negationen gezählt, in dem die Stimmen für Andreas Babler als Streichungen interpretiert und entsprechend als Zustimmungszahl für Hans Peter Doskozils ausgerechnet worden wären, wie umgekehrt die Stimmen für Doskozil als jene Bablers. Sie hatte das in aller Unschuld der Gewohnheit wirklich getan. Und beinahe wäre es niemand aufgefallen, wäre unsichtbar geblieben, wäre dieser Wahlkommission nicht noch ein winziger Fehler darüber hinaus unterlaufen, eine fehlende Stimme im Gesamtergebnis, ohne der in den darauffolgenden Stunden und Tagen nicht zum Vorschein hätte kommen können, dass an diesem Außerordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Österreichs tatsächlich etwas und jemand gewählt wurde, und nicht bloß etwas und jemand nicht.

Nur zu unheimlich die Vorstellung, es wäre unbemerkt geblieben. Unheimlich ist aber auch die Tatsache, wie selten im Politischen, doch nicht nur, oft genug unsichtbar bleibt, wie gewohnt, wie selbstverständlich die Kombinatorik der Ablehnung, der Negation und der Verdrängung längst sind. Während darunter das ganze Gegenteil so nah wäre. Das Gewollte, das Ersehnte und vielleicht bloß Erträumte. Vielleicht zu nah. Unheimlich nah. Womit wir bei einem Grund wären, warum wir ohne die berühmte Vorsilbe „Un“ so schwer auskommen, von der Sigmund Freud in seinem Aufsatz über das Unheimliche sagt: „Die Vorsilbe ‚un‘ an diesem Worte ist aber die Marke der Verdrängung.“

Nicht nur, um es gleich in österreichischer Negation zu benennen, an Parteitagen zeigt sich in diesem Land seit langer Zeit, wie wirkmächtig die Marken der Verdrängung gesetzt werden. Was uns aus der dicken und alles andere als gläsernen Decke derartiger Gewohnheit holen könnte, ist als Gegenstand gesellschaftspolitischer Arbeit wie Theorie, Utopie und drückender Diagnose von Friedrich Heer bis Robert Menasse, und mindestens ebenso Johanna Dohnal, nur allzu bekannt.

Vielleicht aber ist es kein Wunder, dass es in den entscheidenden Momenten nichts anderes als ein Fehler ist, der zum Vorschein bringt, was hinter dem gewohnheitsmäßig Verdrängten liegt und als erstrebenswerte Wirklichkeit begreift, wovon wir bestenfalls träumen. Ein Fehler, der am Ende weit mehr zum „Vorschwein“ bringt als der bloße Lapus lingue jenes Mannes, von dem Freud erzählt, er habe Vorgänge als „Schweinereien“ bezeichnen wollen, es wörtlich aber nur zum „Vorschwein“ gebracht.

„Wisst ihr, Träumer ist ein anderes Wort für Sozialdemokraten!“

Der Fehler dieser Tage steckt tiefer als jede sprachliche Frage, er sitzt überall dort, wo das im privaten wie politischen, im sozialen oder digitalen jede Utopie, jeder Anspruch, jedes Wollen sich viel zu oft lediglich in den Gewohnheiten der Abwertung und des Gegenteils versteckt. Wir mögen die Sozialdemokratie verspotten, die scheinbar eins und eins nicht zusammenzählen kann. Doch vielleicht hält uns das auch einen Spiegel vor, der insofern über alle Additionen hinausreicht, wo wir dahinter das am perfektesten zum Verschwinden bringen, was wir am Nötigsten für unsere Existenz brauchen. Dort wo es als „Glaube, Liebe, Hoffnung“ einzig über uns selbst hinausreicht.

Anstatt stets in Streichungen zu denken, bleibt doch selbst im Lapsus immer noch als Rettungsanker, wie es die letzten Tage eindrücklich, ja, zum Vorschein brachten. Und einen Parteivorsitzenden, der die Stimmen seiner Partei nicht ohne Grund gewann, konterte er doch die Kritik am angeblich fehlenden Realismus seiner politischen Ziele in seiner Parteitagsrede aus nur zu gutem Grund:

„Wisst ihr, Träumer ist ein anderes Wort für Sozialdemokraten!“

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