Ingeborg Bachmann benennt in „Der Fall Franza“ das durchdringendste Übel der Welt, die Ausbeutung der Schwächeren. Woher das Übel kommt? Fragen Sie den lieben Gott. Fakt ist, den Schwächeren können wir als Sündenbock konstruieren, um ihn weiter zu schwächen. Zu den den Tagen der deutschsprachigen Literatur, die am 28. Juni beginnen.
Um die Verwundbarkeit des menschlichen Lebens, das dem Faschismus und Privatfaschismus nur in aufrechter Gangart der Verdorbenheit zu entgehen vermag, darum kreist Ingeborg Bachmanns Literatur. Sie wagt in ihrer Bestandsaufnahme privatfaschistischer Zustände, dem „Todesartenprojekt“, ein fragmentarisches Großunternehmen.
Die Fragmente in ihrer Literatur beeindrucken mich, gerade weil sie den unvollständigen Charakter haben, der kein Dogma verhängt. Sie schreibt, was der Fall ist, aber was nicht der Fall sein soll. Literatur ist umso radikaler, je präziser ihre Diagnose der Zeit in der feinen Beobachtung liegt.
Bachmann hat den „Fall Franza“ in den Sechzigerjahren notiert, als noch nicht einmal Jean Amérys geniale Essays mit dem Titel „Jenseits von Schuld und Sühne“ erschienen waren. Sie hat seine Essays mit Sicherheit sehr früh wahrgenommen, weil sie auch in ihrer Literatur auf Améry deutlich Bezug nimmt.
In der Vorrede zum „Fall Franza“ lautet der programmatische Satz: „Die Verbrechen, die Geist verlangen, an unsren Geist rühren und weniger an unsre Sinne, also die uns am tiefsten berühren, . . . dort fließt kein Blut, und das Gemetzel findet innerhalb des Erlaubten und der Sitten statt, innerhalb einer Gesellschaft, deren schwache Nerven vor den Bestialitäten erzittern. Aber die Verbrechen sind darum nicht geringer geworden, sie verlangen nur ein größeres Raffinement, einen anderen Grad von Intelligenz, und sie sind schrecklich.“
Der Engel der Geschichte Walter Benjamins
Es ist geradeso, als würde sich der Engel der Geschichte Walter Benjamins einfinden. Die Verbrechen unserer Gesellschaften türmen sich zur Geschichte auf, die ein Engel der Zerstörung betreibt, um einem Zweck zu dienen, der nicht dem Preisen der Schöpfung des Menschen dient. Verbrechen sind nicht intelligent, sie sind durch die mangelnde Zivilcourage nur möglich, die auf dem Altar des Ruhmes, der Gier, des Neides, der Arroganz und anderer Todsünden die Menschen opfert. Dies zu richten, wieder ganz zu machen, davor versagt der Engel der Geschichte, entsetzt vor Ohnmacht.
Weil Zivilcourage heute vor allem an Institutionen abgegeben ist, die „richten“ und „wiedergutmachen“ sollen, es aber nicht schaffen und noch nie geschafft haben, an die potenziellen Opfer heranzukommen, weil auch dafür Zivilcourage nötig ist, die nur von Mensch zu Mensch ein Mensch haben kann, türmt sich der Trümmerhaufen des Fortschrittes weiter auf.
Zulasten von wem?
Im Gespräch mit der Geschäftsführerin der autonomen Frauenhäuser Österreichs, Maria Rösselhumer, wird auf die sukzessive Zermürbung von Frauen und deren Selbstbewusstsein hingewiesen, der Frauen systemisch ausgeliefert sind. Wer nichts gegen diese Zermürbung unternimmt, ist eben ignorant und fördert den Missstand. Ignoranz bedeutet Empathielosigkeit, Unmenschlichkeit und ist eine Gefahr für die Weltgemeinschaft.