Der Wirtschaftsbund lobt den ÖGB für "Anzeichen von Flexibilität". Die ÖVP glaubt, über neue Arbeitszeiten zu verhandeln - die SPÖ weiß davon aber nichts.
Wien. Die 35-Stunden-Woche war bisher stets so etwas wie der Schlachtruf der Gewerkschafter. Doch der Ruf wird leiser und verstummt bei der deutschen Diskussion über die Einführung einer 30-Stunden-Woche gänzlich. Selbst Wiens Arbeiterkammer-Chef Werner Muhm, den manche als „sozialistisches Gewissen“ des Bundeskanzlers bezeichnen, bremst: „30 Stunden halte ich für nicht realistisch.“
Arbeitszeitverkürzung sei wichtig und er sei „froh, dass es jetzt wieder eine Diskussion darüber gibt“. Aber: „In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist den Menschen das Einkommen wichtiger als die Arbeitszeit“, so Muhm zur „Presse“.
Auch in der SPÖ will man sich nicht an der deutschen Diskussion beteiligen. Eine 30-Stunden-Woche werde „einem Realitätscheck nicht standhalten“, glaubt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter. Wie ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz im „Presse“-Interview (Freitagausgabe) meint auch Kräuter, man müsse die Diskussion über eine Verkürzung der Arbeitszeit auf eine „breitere Basis“ stellen und auch an andere Möglichkeiten denken, wie etwa mehr Urlaub. Der SPÖ-Politiker: „Die wöchentliche Stundenanzahl ist für mich nicht mehr wirklich das Kriterium.“
Regelung auf Betriebsebene
Für seine Aussagen im „Presse“-Interview („Kein sturer Ruf mehr nach 35-Stunden-Woche“) erhielt Achitz am Freitag Zustimmung vom ÖVP-Wirtschaftsbund. Generalsekretär Peter Haubner lobte das „Anzeichen von Flexibilität“. Der Gewerkschaftsbund habe erkannt, dass „eine Arbeitszeitverkürzung in diesen Zeiten nicht die Lösung sein kann“.
Es sei wichtig, dass es mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit gebe. Das müsse aber nicht unbedingt bundesweit festgelegt werden. Haubner: „Man sollte sich das direkt auf Betriebsebene ausmachen können, da kennt man die Situation besser, es gibt mehr Freiheit und man kann direkt auf die Bedürfnisse aller eingehen.“
Genau darüber verhandle man mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ), erklärt die Sprecherin von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Im Büro des SPÖ-Ministers weiß man davon freilich nichts: „Es gibt keine Verhandlungen zu flexibleren Arbeitszeiten. Die Position des Ministers ist klar: Die derzeitigen Regelungen sind gut und müssen nicht adaptiert werden.“ Aus der ÖVP heißt es, dass es bereits einmal Gespräche mit Hundstorfer gegeben habe. Die hätten aber zu nichts geführt, deswegen habe man sie nicht mehr weiterverfolgt.
Die Sprecherin Mitterlehners beharrt dennoch darauf, dass man „laufend Gespräche“ führe. Auf den Einwurf, dass das keine Verhandlungen seien, spricht sie von „Wortklauberei“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2013)