Brösliger Fels, zittrige Knie: „Jetzt gehst aber weiter!“

Starke Freundschaften helfen über heikle Passagen hinweg. Sie tragen auch noch dort, wo die Wege sich trennen.

Simon Petrus sagte zu ihm: Herr, wohin willst du gehen? Jesus antwortete: Wohin ich gehe, dorthin kannst du mir jetzt nicht folgen. Du wirst mir aber später folgen.

Joh 13,36

Die Weiden der Zielalm waren von Reif bedeckt, als wir an jenem Augustmorgen Richtung Lodner aufbrachen. Erst als wir den Ansatz des Westgrates erreichten, strahlte uns die tiefe Morgensonne ins Gesicht, und nach Süden hin öffnete sich der Blick ins Vinschgau.

Meist ist die Kletterei über den griffigen Marmor nicht schwierig. Mein einheimischer Kamerad hatte nicht im Traum daran gedacht, ein Seil mitzunehmen, und so ließ ich mich als unerfahrener Kletterer von ihm über die ausgesetzten Stellen lotsen. Die Gipfelrast auf dem Dreitausender ließ die Anstrengung bald vergessen.

Dann hinunter über die plattige Flanke, über einen Gamssteig hinauf zum Südgrat. Von nun an wurde das Unternehmen für mich heikel. Der Fels bröslig, meine Knie zittrig. Als wir vom Grat in die brüchigen Schrofen ausweichen mussten, wo jeder Stein sich lösen konnte, und 200 Meter tiefer die Randkluft des Gletschers uns entgegengähnte, wollte ich keinen Schritt weder vor noch zurück machen.

Doch dann hörte ich die Stimme meines Kameraden rufen: „Jetzt gehst aber weiter!“ Ein freundschaftlicher Befehl, der keine Widerrede zuließ. Er gab mir den Mut, die letzten Passagen zu überwinden.

Felsenfeste Charaktere wie mein Südtiroler Freund begegnen mir wieder in den Urgestalten der Bibel. Zweimal vierzig Tage und Nächte auf dem Granitgipfel des Berges Sinai stärken die Persönlichkeit des Mose, die mit den steinernen Tafeln der ewigen Gebote zu verschmelzen scheint. Auf dem Sinai wird auch der Charakter des Propheten Elija geformt, der nicht im Sturm, sondern in der „Stimme verstummenden Schweigens“ der Einsamkeit des Berges göttliche Gegenwart erfährt. Wenn aller menschlicher Rückhalt zerbricht, wird für biblisch Betende Gott selbst „mein Fels, meine Burg, mein Retter“ (Psalm 18).

Jesus nannte seinen starken Kameraden Simon „Kephas, Petrus, Fels.“ Gemeinsam gingen Jesus und Petrus den schwierigen Weg nach Jerusalem. Allein musste Jesus seinen letzten Weg auf die „Schädelhöhe“ gehen, und allein ging Petrus seinen Kreuzweg nach Rom. Dennoch – die Freundschaft stärkte beide. Diese Freundschaftsstärke der beiden sollte zum Fundament einer weltweiten Gemeinschaft werden.

Nur mit der Ermutigung meines Freundes konnte ich die schwierige Passage auf der Hohen Weißen meistern. Menschen wie Felsen stärken aber auch noch dort, wo die Wege sich trennen. Wenn ich mich jetzt, mehr als fünftausend Meilen von Tirol entfernt, unter Menschen unterschiedlichster Kulturen zurechtfinden muss, tut es gut, um Felsen zu wissen. Sobald ich mich an sie erinnere, fühle ich mich geborgen.

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.


E-Mails: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2013)

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