Wer erzieht noch unsere Kinder?

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Die Familie als Ort der Wertevermittlung bröckelt. Die Lehrer sollen die Versäumnisse aufholen. Und scheitern. Das Verhältnis von Elternhaus und Schule ist problembehaftet wie nie.

Fragen Sie Ihr Kind zu Hause regelmäßig, wie es in der Schule war.“ Es sind – scheinbar triviale – Tipps wie dieser, die Bildungsexperten neuerdings mit vollem Ernst vortragen, wenn es darum geht, die Leistung und Motivation schlechter Schüler zu steigern. Dennoch: Viele Eltern scheinen genau diese Anleitung nötig zu haben. Denn was im ersten Augenblick nach zeitgeistiger Kuschelpädagogik klingt, ist vielmehr symptomatisch dafür, wie sich die Aufgabenverteilung zwischen Schule und Elternhaus verschoben hat.

Es verdeutlicht vor allem das, worüber nicht zuletzt viele Lehrer klagen: Die Familie kommt ihrer angestammten Rolle in jenem Gefüge, das (früher einmal) den Bildungserfolg ihres Kindes ermöglichen sollte, immer seltener nach. Die Familie als Ort der Anleitung und Motivation, als Ort der Wertevermittlung und Erziehung bröckelt. Stillschweigend haben nicht wenige Eltern in den vergangenen Jahren mehr und mehr Aufgaben an die Schule – konkret: an die Lehrer – übertragen. Und das zumeist, ohne sich lange mit dem Gedanken aufzuhalten, ob das System, in das sie ihre Kinder entlassen, mit all diesen Aufgaben zurechtkommen kann.

Höflichkeit statt Mathe. Die Eltern wollen, dass die Lehrer ihre Kinder erziehen – so lautete denn auch der Schluss der heftig diskutierten Allensbach-Studie, die sich genau dieses Problems annahm. Nicht die Wissensvermittlung, sondern vielmehr die „Bildung der Persönlichkeit“ erachten viele Eltern heute als zentrale Aufgabe der Schule, ergab die repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie im deutschen Allensbach. Die Ergebnisse lassen sich gut auf Österreich übertragen.

Pünktlichkeit, Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt gute Manieren, das also sollen – geht es nach den Eltern – die Kinder in der Schule lernen. Ganze 87Prozent halten „Wertevermittlung“ für zentral. Zum Vergleich: Die Bedeutung guter Fremdsprachen- oder Mathematikkenntnisse wird demgegenüber geringer eingeschätzt.

Die gute Nachricht: Der größte Teil der ebenfalls befragten Lehrer sieht das genauso, ganze 90 Prozent halten Wertevermittlung für zentral. Die schlechte: Nur wenige Pädagogen denken, mit diesem Ansinnen zu ihren Schülern durchzudringen. Die Eltern teilen dieses negative Bild.


Kein Gleichschritt. Woher aber rührt das Scheitern? Die Gründe sind vielfältig. Zum einen hat sich der Erziehungsauftrag, den Schulen ja auch in früheren Zeiten an sich stellten, verändert. Ging es einst um das bloße Beibringen von Disziplin und Gehorsam, das sich notfalls auch – gesellschaftlich akzeptiert – mit Zwang und Gewalt durchsetzen ließ, sind die Herausforderungen heute komplexer. Gefordert werden Tugenden wie Leistungsbereitschaft und soziale Kompetenz. Mit Rohrstaberlpädagogik lässt sich da nichts ausrichten.

Zum anderen marschieren Lehrer und Eltern längst nicht mehr im Gleichschritt. Galt der Lehrer früher als Respektsperson, deren Autorität in der Familie noch gestärkt wurde, sitzt er am Elternsprechtag heute meist dort, wo ehemals – ebenso falsch – der Schüler saß: auf der Anklagebank.

So die Eltern denn überhaupt noch Anteil am Schulleben ihrer Kinder nehmen. Vor allem Mütter und Väter aus niedrigeren – also schlecht ausgebildeten, ärmeren Schichten – scheinen damit zunehmend überfordert. Hinzu kommen im städtischen Raum sprachliche und kulturelle Barrieren zwischen Migrantenfamilien und der weitgehend einheimischen Lehrerschaft. Türkische Väter, die die Autorität einer weiblichen Lehrperson nicht anerkennen, sind nur ein plakatives Beispiel für ein weit tiefer gehendes Problem. Woran es nicht zuletzt mangelt, ist Unterstützungspersonal. Mit seinem Job als Wissensvermittler, Prüfer, Förderer, Erzieher und Psychologe in einer Person muss der Lehrer zwangsläufig überfordert sein. Vor allem, wenn er einer so inhomogenen Schülerschaft gegenübersteht, wie er es heute zumeist tut. Brennpunktschulen sind unterfinanziert, die Zahl der Schulpsychologen ist gering. Hinzu kommt – wie die Gewerkschaft erst diese Woche alarmiert hat – ein Mangel an allgemeinem Verwaltungspersonal in Schulen, der den Druck weiter erhöht.


Schwierige Reformen. Die Debatte über Auswege ist mehr als bloß eine akademische. Das Thema Erziehung spielt in vielen bildungspolitischen Reformideen eine Rolle. Deutlich wird das etwa bei jenen strengeren Strafen für Schwänzer und gleichgültige Eltern, auf die sich die Regierung zuletzt geeinigt hat. Oder bei der von der Gewerkschaft vor zwei Jahren angezettelten Kontroverse über härtere „Durchgriffsrechte“ für Pädagogen. Beides trifft den Kern der Sache nicht nachhaltig, geht es doch nur um Symptombekämpfung.

Wirklich ausgetragen wird der ideologische Streit darüber, wo die Aufgaben von Familie und Staat liegen (dürfen), anhand anderer Reformen. Neben der Debatte über Ethikunterricht und Pflichtkindergarten entzünden sich die Gemüter an der verpflichtenden Ganztagsschule. Viele Experten sehen hierin die Chance, Schülern jene ganzheitliche Betreuung zukommen zu lassen, die sie zu Hause oft nicht erhalten. Andere fürchten mit dem Ende der Halbtagsschule, die einst übrigens eingeführt wurde, damit die Kinder auf dem Feld bei der Arbeit helfen können, das Ende einer selbstbestimmten Erziehung.

Einig ist man in nur einem Punkt: Das bestehende System ist den Herausforderungen nicht gewachsen. Und daran wird leider auch ein bisschen Interesse daran, wie es „denn heute so in der Schule war“, nichts ändern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2013)

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