Berlinale: Goldener Bär geht erstmals nach Rumänien

Berlinale Goldener Baer geht
Berlinale Goldener Baer geht c REUTERS TOBIAS SCHWARZ
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Das Drama "Die Stellung des Kindes" gewinnt den Hauptpreis der Berlinale. Filme aus Osteuropa sind die großen Gewinner, Österreich geht leer aus.

Filme aus Osteuropa waren am Samstag die großen Gewinner der 63. Berlinale. Der Goldene Bär wurde erstmals nach Rumänien vergeben. Österreich ging leer aus.

Die Jury unter Vorsitz des chinesischen Regisseurs Wong Kar Wai ("In The Mood For Love") zeichnete mit dem Hauptpreis Calin Peter Netzers Drama "Die Stellung des Kindes" ("Pozitia Copilului") aus - eine mit Krimi-Elementen inszenierte Geschichte über Schuld, Verantwortung und Korruption, die zu den Favoriten des Festivals zählte.

"Paradies: Hoffnung" bleibt bärenlos

Außenseiterchancen waren dem österreichischen Beitrag "Paradies: Hoffnung" von Ulrich Seidl eingeräumt worden. Vor allem seiner Hauptdarstellerin Melanie Lenz hatten Experten gute Chancen auf einen Silbernen Bären zugesprochen. Lenz spielt im letzten Teil der "Paradies"-Trilogie" die 13-jährige Melanie, die von ihre Mutter in ein Diätcamp geschickt wird. Seidl und Lenz blieben aber "bärenlos".

Gleich zwei Preise holte der halbdokumentarische Film "Eine Episode aus dem Leben eines Metallsammlers" ("Epizoda u zivotu beraca zeljeza") von Oscar-Preisträger Danis Tanovic ("No Man's Land") aus Bosnien-Herzegowina.

Der Film erhielt den Großen Preis der Jury, eine besonders begehrte Auszeichnung. Tanovics Hauptdarsteller Nazif Mujic nahm außerdem den Silbernen Bären als bester Schauspieler entgegen. Der Roma spielt in dem Film zusammen mit seiner Frau und den Kindern eine reale Episode aus dem harten, ärmlichen Leben der Familie nach.

Einen Silbernen Bären für die beste Kamera erhielt Aziz Zhambakiyev für seine streng komponierten Bilder im kasachischen Adoleszenz-Drama "Harmony Lessons" ("Uroki Garmonii") von Regisseur Emir Baigazin - eine Studie über Gewalt an einem dörflichen Gymnasium.

Gewinnerfilm analysiert schwierige Mutter-Sohn-Beziehung

Der Gewinnerfilm "Die Stellung des Kindes" ("Pozitia Copilului") analysiert eine schwierige Mutter-Sohn-Beziehung. Nachdem ihr Sohn mit dem Auto ein Kind überfahren und getötet hat, versucht die reiche Cornelia (Luminita Gheorghiu), ihn mit allen Mitteln vor Strafe zu bewahren. Sie will Polizisten und Richter, ja sogar die in Armut lebende Familie des Opfers bestechen. Über eine persönliche Tragödie erzählt Netzer die Tragödie einer Gesellschaft, die alle Menschlichkeit an Geld- und Machtgier verkauft.

"Wenn ich über Familienstrukturen spreche, spiegele ich natürlich auch gesellschaftliche Strukturen", sagte der 1975 im rumänischen Petrosani geborene und in Deutschland aufgewachsene Netzer bei der Vorstellung des Films. "Wir zeigen das Milieu der Upper-Middle-Class, weil es solche psychologischen Dramen dort viel häufiger gibt als etwa in der Unterschicht."

Auch Deutschland geht leer aus

Der einzige deutsche Berlinale-Wettbewerbsfilm "Gold" von Thomas Arslan, von der Kritik schon während des Festivals negativ beurteilt, war nicht unter den Gewinnern - genauso wenig wie seine Hauptdarstellerin Nina Hoss oder die deutschen Schauspieler Martina Gedeck ("Die Nonne") und August Diehl ("Layla Fourie").

Der als heißer Bären-Favorit gehandelte iranische Film "Geschlossener Vorhang" ("Pardé") des verfolgten iranischen Regisseurs Jafar Panahi und seines Kollegen Kamboziya Partovi holte immerhin den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. "Das Aufhalten eines Künstlers und eines Denkens war niemals möglich", sagte Partovi. Panahi, der sich offen zur Opposition im Iran bekennt, hat in seinem Heimatland Arbeitsverbot.

Sehr zurecht als beste Schauspielerin geehrt wurde die Chilenin Paulina García für ihre Rolle als "Gloria" in Sebastián Lelios gleichnamigen Film. Leicht, aber dennoch mit Tiefgang erzählt die Tragikomödie von einer Frau Ende 50, die noch einmal von der großen Liebe träumt - sie hat einen holperigen Weg zu neuem Selbstwertgefühl vor sich. Der Film ist eine gelungene, gefühlvolle Gratwanderung zwischen Komik und Tragik, Lebenslust und Melancholie.

Regiepreis für harmlose Tragikomödie

Überraschend war die Entscheidung der Jury, in der auch der deutsche Regisseur Andreas Dresen ("Halt auf freier Strecke") saß, in der Kategorie Regie. Dort holte der US-Amerikaner David Gordon Green die Trophäe für seine ziemlich harmlose Tragikomödie "Prince Avalanche", die von der Ziellosigkeit satter westlicher Menschen in den 1980er Jahren erzählt.

Insgesamt fünf der 19 diesjährigen Wettbewerbsfilme kamen aus Osteuropa. Sie erzählten alle von Menschen in schwierigsten, teils elenden Lebenssituationen. Ein besonders düsteres und tragisches Bild zeichnete Tanovics' "Eine Episode aus dem Leben eines Metallsammlers". Weil die Familie die Krankenhausbehandlung für die schwangere Mutter nicht bezahlen kann, stirbt die Frau fast.

"Mein erstes Motiv war: Ich wollte helfen", so Tanovic. "Ich habe das auch politisch versucht, bin aber nicht weit gekommen. Und da ich nun mal Filmemacher bin, fand ich es richtig, zu versuchen, durch einen Film zu helfen, einen Film, der auf die Zustände in unserem Land aufmerksam macht."

Die Liste der Preisträger

GOLDENER BÄR: "Die Stellung des Kindes" ("Pozitia Copilului") von Calin Peter Netzer (Rumänien)

SILBERNER BÄR, GROSSER PREIS DER JURY: "Eine Episode im Leben eines Metallsammlers" ("Epizoda u zivotu beraca zeljeza") von Danis Tanovic (Bosnien-Herzegowina)

SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE REGIE: David Gordon Green für "Prince Avalanche" (USA)

SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE DARSTELLERIN: Paulina García in "Gloria" von Sebastián Lelio

SILBERNER BÄR FÜR DEN BESTEN DARSTELLER: Nazif Mujic in "Eine Episode im Leben eines Metallsammlers" von Danis Tanovic (Bosnien-Herzegowina)

SILBERNER BÄR FÜR HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG: Kameramann Azis Zhambakiyev für "Harmony Lessons" ("Uroki Garmonii") von Emir Baigazin (Kasachstan)

SILBERNER BÄR FÜR DAS BESTE DREHBUCH: Jafar Panahi und Kamboziya Partovi (Iran) für "Geschlossener Vorhang" ("Pardé")

ALFRED-BAUER-PREIS: - "Vic+Flo haben einen Bären gesehen" ("Vic+Flo ont vu un ours") von Denis Côté (Kanada)

GOLDENER BÄR FÜR DEN BESTEN KURZFILM: "La Fugue" (Die Ausreisserin) von Jean-Bernard Marlin (Frankreich)

SILBERNER BÄR FÜR DEN BESTEN KURZFILM: "Die Ruhe bleibt" von Stefan Kriekhaus (Deutschland)

BESTER ERSTLINGSFILM: "The Rocket" (Die Rakete) von Kim Mordaunt (Australien)

Außerdem wurden im Rahmen der Berlinale ausgezeichnet:

GLÄSERNER BÄR DER JUGENDJURY IM WETTBEWERB GENERATION 14PLUS: "Baby Blues" von Kasia RosBaniec

GROSSER PREIS DER INTERNATIONALEN JURY VON GENERATION 14PLUS: "Shopping" von Mark Albiston und Louis Sutherland

PREIS DER ÖKUMENISCHEN JURY: "Gloria" von Sebastián Lelio; "The Act of Killing" von Joshua Oppenheimer; "Circles" ("Krugovi") von Srdan Golubovi

FIPRESCI-PREISE DES INTERNATIONALEN VERBANDES DER FILMKRITIK: "Child's Pose" ("Pozicia Copilului") von Calin Peter Netzer; "Inch'Allah" von Anaïs Barbeau-Lavalette; "Hélio Oiticica" von Cesar Oiticica Filho

PREIS DER GILDE DEUTSCHER FILMKUNSTTHEATER: "Gloria" von Sebastián Lelio

PREISE DER C.I.C.A.E. (Internationaler Verband der Filmkunsttheater): "Rock the Casbah" von Yariv Horowitz; "In Bloom" ("Grzeli nateli dgeebi") von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß

LABEL EUROPA CINEMAS: "The Broken Circle Breakdown" von Felix van Groeningen

SCHWUL-LESBISCHER TEDDY AWARD: "In the Name of" ("W imi...") von MaBgo[ka Szumowska, "Concussion" von Stacie Passon; "Bambi" von Sébastien Lifshitz; "Undress Me" ("Ta av mig") von Victor Lindgren

MADE IN GERMANY - FÖRDERPREIS PERSPEKTIVE: Jan Speckenbach für Treatment zu "Das Klopfen der Steine"

CALIGARI-FILMPREIS: "Hélio Oiticica" von Cesar Oiticica Filho

NETPAC-PREIS ZUR FÖRDERUNG DES ASIATISCHEN FILMS: "When I Saw You" ("Lamma shoftak") von Annemarie Jacir

FRIEDENSFILMPREIS: "A World Not Ours" von Mahdi Fleifel

AMNESTY INTERNATIONAL FILMPREIS: "The Rocket" (Die Rakete) von Kim Mordaunt

HEINER-CAROW-PREIS ZUR FÖRDERUNG DER DEUTSCHEN FILMKUNST: "Naked Opera" von Angela Christlieb

PANORAMA-PUBLIKUMS-PREIS: "The Broken Circle Breakdown" von Felix van Groeningen; "The Act of Killing" von Joshua Oppenheimer

LESERPREIS DER BERLINER MORGENPOST: "Harmony Lessons" ("Uroki Garmonii") von Emir Baigazin

LESERPREIS DES TAGESSPIEGEL: "Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern" von Peter Liechti

ELSE - LESERPREIS DER "SIEGESSÄULE": "In the Name of" ("W imi...") von MaBgo[ka Szumowska

ARTE INTERNATIONAL PRIZE: Petar Valchanov aus Bulgarien für "The Lesson"

VFF TALENT HIGHLIGHT PITCH AWARD: Geordie Sabbagh aus Kanada für "Two Guys who Sold the World"

(APA)

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