Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ortet Diskriminierung, weil es in Österreich für gleichgeschlechtliche Paare keine Möglichkeit einer Stiefkindadoption gibt.
Ein in Österreich lebendes lesbisches Paar hat vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg einen Sieg im Streit um die Adoption eines Burschen errungen. Die Straßburger Richter urteilten am Dienstag, die fehlende Möglichkeit einer Stiefkindadoption diskriminiere gleichgeschlechtliche Paare in Österreich im Vergleich zu unverheirateten heterosexuellen Paaren, bei denen ein Partner das leibliche Kind des anderen adoptieren möchte.
Die beiden Frauen klagten gegen die Weigerung der österreichischen Gerichte, der Adoption des Burschen durch die Partnerin der Mutter zuzustimmen, ohne dass damit die rechtliche Beziehung der leiblichen Mutter zu dem Kind aufgehoben würde - sprich: dass beide als Mutter auftreten dürfen. (DiePresse.com berichtete).
Die Frauen berufen sich auf das in der europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Diskriminierungsverbot in Verbindung mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Richter urteilten nun mit der Mehrheit der Stimmen, dass eine solche Verletzung - und zwar gegenüber unverheirateten heterosexuellen Paarn - vorliege. Keine Verletzung der Menschenrechtskonvention sehen die Richter dagegen im Vergleich zu verheirateten Paaren.
"Ungleichbehandlung beruht auf sexueller Orientierung"
"Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerinnen im Vergleich zu einem unverheirateten heterosexuellen Paar, bei dem ein Partner die Adoption des Kindes des anderen anstrebt, auf ihrer sexuellen Orientierung beruhte", heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. "Die österreichischen Gerichte hatten keine überzeugenden Argumente zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Ungleichbehandlung zum Schutz der Familie oder des Kindeswohls vorgebracht."
Zugleich betonte der Gerichtshof, dass die Menschenrechtskonvention die Staaten nicht dazu verpflichte, unverheirateten Paaren das Recht auf Stiefkindadoption einzuräumen. Der Gerichtshof verwies auf einen Fall in Frankreich, wo die Straßburger Richter keine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung sahen, weil unverheiratete Paare – ob homo- oder heterosexuell - nach französischem Recht generell kein Recht auf Stiefkindadoption hätten.
Kind hat Kontakt zu Vater
Ein österreichisches Landesgericht hatte im Februar 2006 den Antrag der Frauen abgelehnt. Die Richter argumentierten, dass das österreichische Recht zwar keine genaue Definition von "Eltern" enthält, aber darunter doch deutlich zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts verstehe. Solange ein Kind, wie im vorliegenden Fall, beide Elternteile habe, gebe es auch keinen Bedarf, einen von beiden durch Adoptiveltern zu ersetzen.
In diesem Zusammenhang hielt das Gericht fest, dass das Kind einen regelmäßigen Kontakt zu seinem Vater unterhält. Im September 2006 wies der Oberste Gerichtshof eine Berufung des lesbischen Paares ab.
Heinisch-Hosek "hoch erfreut" über Urteil
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat sich am Dienstag "hoch erfreut" über das Urteil in Straßburg gezeigt. Eine Sprecherin der Ressortchefin erklärte, es handle sich um ein "richtungsweisendes" Urteil. Die Ministerin geht davon aus, dass die Debatte über völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften nun neuen Schwung erhält und möchte mit der ÖVP intensiv diskutieren.
"Erleichtert" über das Urteil ist auch Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig: "Das ist ein Schritt in Richtung europäische Normalität und bringt Sicherheit insbesondere für 'mitgebrachte' Kinder und Jugendliche in schwulen und lesbischen Beziehungen. Sie können gerade im schwierigen Fall des Todes eines leiblichen Elternteiles in der gewohnten Familie bleiben." Die Grünen kündigten weiters einen Antrag in der kommenden Nationalratssitzung an, welcher das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare beinhaltet.
Die Wiener Homosexuellen Initiative HOSI zeigte sich "hocherfreut" über das Urteil. "Dies untermauert die Berechtigung unserer langjährigen Forderung an die österreichische Innenpolitik, entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen", erklärte Obmann Christian Högl in einer Aussendung. Es sei jedoch bedauerlich, dass es erst einer Verurteilung durch den EGMR bedürfe.
(APA)