Bulgarien: Bojko Borissows Rücktritts-Coup

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Seit zehn Tagen erschüttert eine Protestwelle wegen explodierender Stromrechnungen. Der Premier gibt nach den Protesten gegen EVN und andere Stromerzeuger die Verantwortung ab, um seine Wahlchancen zu mehren.

Belgrad/Sofia. Seiner Neigung zur theatralischen Geste ließ Bulgariens vorerst gescheiterter Volkstribun Bojko Borissow auch beim scheinbaren Spontan-Abtritt freien Lauf. „Wir erhielten unsere Macht vom Volk, heute geben wir sie ihm zurück“, sagte der rechtspopulistische Premier und kündigte damit seinen verblüfften Landsleuten am Mittwochmorgen den Rücktritt seines Kabinetts an. Die Macht sei nie sein Ziel gewesen, noch habe er irgendetwas davon, „wenn uns die Bürger hassen“, begründete der machtbewusste Aufsteiger seinen Rückzug. Seine Regierung habe „vier Jahre lang ihr Bestes getan“: „Aber jeder Tropfen vergossenen Bluts ist eine Schande für uns. Ich will nicht an einer Regierung beteiligt sein, unter der die Polizei die Menschen schlägt.“

Seit zehn Tagen erschüttert eine Protestwelle wegen explodierender Stromrechnungen, die ausländische Energiekonzerne ausstellen, den verarmten EU-Staat. Die Wut der Demonstranten richtete sich dabei auch gegen die österreichische EVN. Nachdem bereits in Veliko Tarnowo ein Demonstrant an den Folgen einer Selbstverbrennung gestorben war, steckte sich am Mittwoch auch in der Schwarzmeerstadt Varna ein Mann in Brand. In der Hauptstadt Sofia wurden bei blutigen Ausschreitungen in der Nacht zum Mittwoch erneut 14 Menschen verletzt.

Der Premier spielte lieber Fußball

Der frühere Karate-Champion Borissow zeigte sich von den größten Protesten seit den Hungerdemonstrationen 1997 zunächst eher unbeeindruckt. Drei Tage lang schien der 52-Jährige am vergangenen Wochenende während der größten Krise seines Landes wie vom Erdboden verschluckt. Er habe sich keineswegs versteckt, aber am Sonntag frei gehabt – und Fußball gespielt, verteidigte er sich reichlich ungeschickt. Zwar musste zu Wochenbeginn der parteilose Finanzminister Simeon Dschankow wegen angeblich mangelhaften Kommunikationsvermögens als Bauernopfer seinen Hut nehmen. An seinen eigenen Rücktritt verschwendete „Sheriff Bojko“ – wie er in Bulgarien genannt wird – am Dienstag aber zumindest öffentlich keinen Gedanken. „Ich werde nicht abtreten, sondern bis zum Ende kämpfen“, versicherte der Chef der Gerb-Partei noch am Vortag seines Abtritts.

Als Feuerwehrmann im Innenministerium hatte der bullige Liebhaber erlesener Zigarren zu sozialistischen Zeiten seine Karriere begonnen. Nach der Wende gründete sich der langjährige Coach des bulgarischen Karate-Nationalteams einen eigenen Sicherheitsdienst und verdingte sich als Leibwächter der Politprominenz. Ob als Bodyguard des letzten sozialistischen Autokraten Todor Schiwkow oder des heimgekehrten Zaren Simeon II. – die Nähe zur Macht machte sich für den politischen Späteinsteiger bald bezahlt. Als sein früherer Kunde Simeon 2001 die Regierung übernahm, wurde Borissow Sicherheitschef des Innenministeriums.

Eiserne Haushaltsdisziplin

Sein sorgfältig gepflegtes Image als unerbittlicher Kämpfer gegen Kriminalität und Korruption bescherte ihm 2006 die Wahl zu Sofias Bürgermeister. Drei Jahre später bugsierte der nächste Karrieresprung den Wahlsieger gar auf die Regierungsbank. Zwar dominierte der Meister einfacher Rhetorik die heimischen Medien nach Belieben. Doch der Stern des Aufsteigers sollte als Premier langsam, aber stetig verblassen.

Mit eiserner Haushaltsdisziplin hielt seine Regierung Defizit und Staatsschuld im Gegensatz zu anderen Ländern der Region im Zaum. Doch es sind nicht nur die Folgen der Krise und der trotz des EU-Beitritts 2007 anhaltend niedrige Lebensstandard der Bulgaren, die seine Umfragewerte stetig sinken ließen. Der selbstherrliche Führungsstil des Premiers, der selbst das Regierungsflugzeug zum fliegenden Mannschaftsbus für seine Fußballkumpels umfunktionierte, kratzte genauso am Saubermann-Nimbus wie die anhaltenden Bandenkämpfe, Fememorde und Korruptionsskandale. Zuletzt brachten Enthüllungen über Mafiakontakte in den 1990er-Jahren den Premier in Bedrängnis.

Die Erkenntnis, dass er als Regierungschef die für Juli angesetzte Parlamentswahl kaum gewinnen könnte, hat den sprunghaften Instinktpolitiker die Regierungsflinte nun frühzeitig, aber wohl mit Kalkül ins abgebrannte Korn werfen lassen. Heute, Donnerstag, soll das Parlament den Abtritt seines Kabinetts absegnen. Das Volk möge entscheiden, für eine Übergangsregierung stehe er nicht zu Verfügung, ließ Borissow bereits wissen. Der Ex-Nahkämpfer will lieber als Oppositioneller in die Wahlschlacht ziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2013)

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