Zubau mit Folgen

Wien-Döbling: Wenn schnelle Lösungen auf den Tisch sollen, wird auf die Qualität oft vergessen. Es geht aber auch anders: Lokalaugenschein in der Ferstel-Volksschule.

Viele der Wiener Volksschulen stammen aus der Gründerzeit. Für ihre Qualität spricht, dass sie mehr als ein Jahrhundert lang Potenzial für Anpassungen geboten haben, auch wenn die Veränderungen selten das gleiche baukulturelle Niveau der Bestandsbauten erreichten. Evident ist, dass die Gebäude sich nicht in dem Ausmaß verändert haben wie die pädagogischen Konzepte. Der Ausbau der Nachmittagsbetreuung, ganztägige Schulkonzepte und neue Unterrichtsformen erfordern zusätzliche Räumlichkeiten, die es in vielen Schulen schlichtweg nicht gibt. Die Volksschule Mannagettagasse im 19. Bezirk wurde inden Jahren 1871/72, als Grinzing noch eine eigenständige Gemeinde war, errichtet. Geplant hat die unweit von seiner Villa in der Himmelstraße gelegene Schule der Ringstraßenarchitekt Heinrich Ferstel im Stil einer der damals ländlichen Umgebung entsprechenden typischen Dorfschule. Man spürt die Bemühungen des Personals, das Haus für die Kinder zu pflegen und hübsch zu gestalten, was aber im Inneren nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es die Stadt viele Jahre lang versäumt hat, das Baudenkmal als solches zu behandeln.

Rechtzeitig zum heurigen Schuleinschreibungstermin haben für die Ferstel-Schule dank einer Erweiterung durch die Architekten Runser und Prantl wieder bessere Zeiten begonnen. Ehe die Sanierung des Bestands in Angriff genommen wird, fügten sie einen Zubau mit vier Volksschulklassen, einer Vorschul- und einer Freizeitklasse sowie entsprechenden Nebenräumen hinzu. Nach einem 2011 bezogenen Zubau in Holzbauweise von Architekt Michael Schluder in der Prückelmayergasse ist die Grinzinger Schule die zweite in Wien, die sich freuen darf, dass Holz statt Blech zum Einsatz kam. Denn ansonsten ist es Praxis, sich bei schulischer Raumnot mit Containern zu behelfen, denen man den verschleiernden Titel Mobilklassen gegeben hat. Es versteht sich fast von selbst, dass der Holzbau damit konkurrenzfähig sein musste. Nun sind Runser und Prantl als sehr akribisch auf exakt ausgeführte Details achtende Architekten bekannt. Kann das bei einem Schulgebäude, bei dem unterschiedliche Magistrate, die Nutzer und vor allem das Zeit- und Kostenkorsett den Architekten das Leben schwer machen, gut gehen? Ja, es kann und ist ein Segen, dass gerade hier, wo die Umstände zur Rationalität drängten, Planer engagiert wurden, die genug Energie haben, sich für scheinbare Kleinigkeiten einzusetzen und zugleich bedachten, auch Probleme des Altbestandes zu lösen.

Sie stellten den zweistöckigen Neubau in Distanz zum Bestand auf das gleiche Niveau wie jenes des Altbau-Erdgeschoßes und deckten den Weg dazwischen mit einem Flugdach, das im Zuge der Bestandssanierung zu einer gedeckten Brücke aufgerüstet werden kann. So erreichen sie auf beiden Ebenen eine barrierefreie Verknüpfung. Da das alte Gebäude sowohl von der Straßenseite als auch vom Garten bisher nur über Treppen zugänglich war, schufen sie mit einem Garteneingang und einer entsprechenden Wegführung einen stufenfreien Zugang. Sobald die Brücke, die mit möglichst geringfügiger Beeinträchtigung des Altbaus an denselben über bestehende Fensteröffnungen angeschlossen werden soll, errichtet ist, kann die Schule als einheitlicher Gebäudeorganismus genutzt werden. Währendin den gängigen Containerbauten eineRaumhöhe von 2,50 Metern vorgegeben ist, konnten hier dank der Vorgaben des Bestandes drei Meter realisiert werden. Die Stellung des neuen Bauteils nimmt Rücksicht darauf, dass viel Gartenfläche erhalten bleibt. Durch die Überdachung und die Gestaltung des Übergangs zwischen den beiden Freiraumniveaus entlang der neuen Wegführung mit einer flachen kleinen Treppenanlage entstand ein Freiraumangebot, das auch bei schlechter Witterung für Pausen im Freien nutzbar ist.

Die Konstruktion des neuen Schultraktes wurde in vorgefertigten Teilen Brettschichtholz gelöst. Innerhalb von vier Tagen war der Rohbau aus Holz montiert. Die Fassade wurde mit anthrazitfarbenen Faserzementplatten verkleidet, der eine ähnliche Anmutung hat wie alter Dachschiefer und so auch in der Farbsprache eine Verbindung zum Altbestand herstellt. Die Holzwände blieben innen dort, wo weder Schall- noch Brandschutzanforderungen eine zusätzliche Beplankung erforderten, sichtbar. Sie sind weißlasiert, und die durchschimmernde Holzmaserung sorgt für eine feine Atmosphäre. Es gab keinen Spielraum für Extravaganzen.

Dass die Schule dennoch als angenehmer Ort empfunden wird, hat damit zu tun, dass die Architekten nichts dem Zufall überließen und in einigen Detailfragen beharrlich blieben. So durften die Klassentüren nureine Öffnung von 90 mal 200 Zentimetern haben. Um eine spätere Aufweitung nicht von vornherein unmöglich zu machen, sahen die Architekten breitere Löcher in den Wandscheiben vor, in die sie Portalnischen setzten, die nun eben den vorschriftsmäßigen Türflügel enthalten, deren geschlossene Seitenteile aber leicht entfernbar wären und durch breitere Türen oder transparente Teile ersetzt werden können. Dass die Schränke in den Klassenzimmern auf die Höhe dieser Türelemente abgestimmt sind, ist Ehrensache. Ansonsten gab es in Hinblick auf die Möblierung wenig Gestaltungsfreiheit. Was als lächerliche Marginalie erscheinen mag, trägt gerade an einem Gebäude, von dem die Bauherren nicht mehr als die Erfüllung eines in Kosten, Kubatur und Termine gezwängten Bedarfs verlangen, dazu bei, dass die Zwänge nicht an allen Ecken und Enden spürbar sind.

Viel ist von Nachhaltigkeit die Rede; meist ist damit nur die Ökobilanz eines Gebäudes gemeint. Gerade bei Schulen sollte – wie Runser und Prantl es machten – auch auf so etwas wie eine gestalterisch-pädagogische Nachhaltigkeit geachtet werden. Immer wieder berichten Lehrerinnen, die mit ihren Klassen aus alten Räumen in neue (Holz-)bauten übersiedeln, dass die Kinder ausgeglichener seien. Hat irgendjemand bereits untersucht, ob Kinder, die in gut ausgestatteten, gesunden und inspirierenden Räumen ihren Schulalltag verbringen, nachweislich bessere Ergebnisse bei den Leistungsfeststellungstests erbringen? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2013)

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