Automatische Kürzungen um 85,3 Mrd. Dollar treten in Kraft. Ein letzter Vermittlungsversuch von Präsident Obama war wie erwartet erfolglos.
Washington. Barack Obama erntet heute die bitteren Früchte jener Saat, die er am 2. August 2011 ausgebracht hat. Damals unterzeichnete der Präsident jenes Gesetz, mit dem er die Insolvenz der Vereinigten Staaten im Abtausch gegen langfristige Budgetkürzungen verhinderte. Die Republikaner stimmten zu diesem Zweck zu, dass die Obergrenze für die Neuverschuldung der USA erhöht wird. Somit konnte Obama das Staatswesen weiterhin finanzieren.
Im Gegenzug sollte die Neuverschuldung binnen zehn Jahren um 2,4 Billionen Dollar verkleinert werden. Die Hälfte dieser Defizitverringerung sollte von einer Gruppe demokratischer und republikanischer Politiker vereinbart werden. Sie kamen auf keinen grünen Zweig. Und darum tritt heute, Freitag, der „Sequester“ in Kraft, eine automatische Kürzung des Bundeshaushaltes um 85,3 Milliarden Dollar – das sind 2,4 Prozent für die restlichen sechs Monate des Haushaltsjahrs.
Obama startete am Freitag noch einen letzten Vermittlungsversuch. Er traf sich mit den Spitzen des Kongresses, um über Kompromissmöglichkeiten sprechen. Wie erwartet kam es zu keiner Einigung. Obama warnte bei einer anschließenden Pressekonferenz, dass die "dummen und harten" Einschnitte der US-Wirtschaft schaden und Arbeitsplätze vernichten würden.
Obama muss bis kurz vor Mitternacht mit seiner Unterschrift den "Sequester“ in Kraft setzen. "To sequester“ bedeutet auf Deutsch, etwas unter Zwangsverwaltung zu nehmen. Die politische Klasse in Washington gesteht sich mit diesem Begriff aus der Rechtssprache ihr Versagen selbst ein: Sequestriert werden Vermögenswerte, um sie dem verantwortungslosen Gebrauch ihres zweifelhaften Eigentümers zu entziehen. Demokraten und Republikaner kapitulieren also vor der ersten Aufgabe der Staatskunst, nämlich der Erstellung eines tragfähigen Haushalts.
Denn an der Last der Staatsschulden ändert diese Budgetpolitik nach der Rasenmähermethode nichts. Pensionen und ein Großteil der Leistungen aus der Krankenversicherung sind nicht betroffen. Keine Kürzungen sind auch dort vorgesehen, wo der laufende Betrieb aufrechterhalten werden muss; die Truppen in Afghanistan bekommen also weiterhin ihren Sold, und kein Staatsbediensteter muss um seinen Posten bangen. Stattdessen behelfen sich die Ministerien damit, ihre Beamten in unbezahlten Urlaub zu schicken.
Es trifft die Ärmsten
Irgendwo müssen aber die 2,4 Prozent eingespart werden. Und so werden alle Ermessensausgaben stark zurückgefahren. Das Centre on Budget and Policy Priorities, ein unparteiischer Thinktank, hat errechnet, dass die bereits erfolgten Kürzungen aus dem vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Sequester dazu führen werden, dass die Bundesregierung heuer nominell um neun Prozent weniger Geld als im Jahr 2010 ausgeben kann.
Das ist für den Präsidenten sehr bitter. Denn nun sind seine in der Rede zur Lage der Nation angekündigten Staatsprogramme zur Reparatur der Infrastruktur, zur Förderung der Schulen und zur Forschung Schall und Rauch. Zumal sich Obama seinen Ermessensspielraum selbst beschnitten hat. Der Sequester war ein Geschöpf von Obamas Entourage. Man hat darauf spekuliert, dass die Republikaner es schon nicht so weit kommen lassen werden, dass man auch beim Pentagon kürzt. Doch die Republikaner blieben stur.
Sie sind damit zwar derzeit in der öffentlichen Meinung die Hauptschuldigen für das budgetäre Gewirks. 49 Prozent der Amerikaner sehen laut einer Umfrage des Pew Research Center die Verantwortung bei ihnen, 31 Prozent bei Obama. Doch das kann sich rasch ändern. Denn die Einsparungen treffen die Ärmsten, als deren Schutzherr Obama sich sieht, besonders hart. Das Centre on Budget and Policy Priorities nennt als Beispiele dafür rund 3,8Millionen Langzeitarbeitslose, die um rund elf Prozent weniger Stütze erhalten werden. 600.000 Schwangere, junge Mütter und Kinder aus armen Familien werden bis Jahresende keine staatlichen Hilfen gegen Mangelernährung mehr erhalten. Und gut 100.000 arme Familien verlieren Miet- und Hypothekenzuschüsse.
Wie sehr die Nerven blank liegen, zeigt der Kleinkrieg, den sich das Weiße Haus mit dem Starjournalisten Bob Woodward liefert. Der „Washington Post“-Kolumnist kritisiert Obama sachlich, aber beharrlich dafür, die Kontrolle über den selbst verschuldeten Sequester verloren zu haben und nicht auf die Republikaner zugegangen zu sein.
Das brachte ihm nun eine unverhohlene Drohung eines engen Obama-Gefolgsmannes ein, wie Woodward im Gespräch mit dem Nachrichtenportal „Politico“ sagte: „Er schrie mich eine gute halbe Stunde lang an. Dann schrieb er mir in einem E-Mail: ,Ich denke, Sie werden es bedauern, diese Haltung eingenommen zu haben.‘“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2013)