"Schwaben" an der Donau

(c) Katharina Roßboth
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Im 18. Jahrhundert zogen 400.000 Schwaben, Franken, Bayern und andere mit den Schiffen donauabwärts, um Herren über Haus und Hof zu werden. Die »Donauschwaben« blicken auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Ein Besuch in Ungarn.

Das langgezogene, ebenerdige Haus Maria Heims, geborene Friedsam, befindet sich im Zentrum des Dorfes Óbánya/Altglashütte in Ungarn. Zentrum bedeutet: sieben Schritte zum Bürgermeisteramt, 40 Schritte zur Kirche, nochmal zehn Schritte in den Seniorenklub, von wo aus jene zwei Nachbarshunde besonders deutlich zu hören sind, die sich unaufhörlich ankeppeln. Der Bürgermeister im Norwegerpulli hat beim Vorbeigehen ein paar freundliche Sätze übrig und hinter ihm pafft der Kamin eines Wohnhauses dicken, weißen Rauch in den Himmel.

In Óbánya kam Maria Heim 1937 auf die Welt, 199 Jahre nach dem ersten hier geborenen Friedsam. Maria Heim ist herzlicher Natur, eine pensionierte Schneiderin, viel zu früh verwitwet. Sie spricht ein behäbiges Deutsch mit schwäbischem Einschlag – und man darf durchaus erstaunt sein, wie deutlich sich die Sprache der alten Heimat über die Jahrhunderte gehalten hat. Maria Heim ist eine Ungarndeutsche. Ihre Vorfahren waren unter jenen 400.000 Aussiedlern, die im Laufe des 18. Jahrhunderts in Ulm ein Schiff – „Ulmer Schachtel“ oder „Wiener Zille“ genannt – bestiegen, um donauabwärts Herren über Haus und Hof zu werden. Später sollten sie als „Donauschwaben“ bezeichnet werden, heute weiß die Forschung, dass die Aussiedler nicht nur aus Schwaben, sondern auch aus Bayern, Franken, Württemberg und anderen Flecken stammten.



Flussfahrt mit Tieren und Hausrat. Die Türkenkriege hatten große Flächen in Ungarn brach und entvölkert zurückgelassen – und diese Landstriche sollten die Kolonisten aus dem Heiligen Römischen Reich (land-)wirtschaftlich wiederbeleben. Startschuss war der Frieden von Sathmar/Szatmár (1711) zwischen dem Haus Habsburg und dem aufständischen ungarischen Adel. Bereits ein Jahr später bestiegen die ersten Familien die Schiffe, mit ihrem Hausrat, ihren Pferden und Kühen, selbst der Transport einer ein Meter großen Marienstatue ist dokumentiert. Die Überfahrt dauerte bis zu drei Wochen, die Enge muss leidvoll gewesen sein.

Die Aussiedlung wurde vom Wiener Kaiserhof gelenkt, neuere Forschungen legen ihr Augenmerk aber auf die bisher wenig beachtete „private“ Kolonisation; viel mehr Aussiedler als ursprünglich angenommen sind dem Ruf von Grafen und anderen Grundherren gefolgt. Beiden gemeinsam war allerdings, dass sie jene Kolonisten bevorzugten, die über Eigenkapital verfügten und eine Familie hatten (was im Übrigen an den Häfen zu regen Eheschließungen führte). Und: Die Familien mussten katholisch sein, der Kaiserhof wollte mit der Loyalität der Kolonisten rechnen. Erst mit den Toleranzedikten Kaiser Josephs II. (1781/82) wurde auch Protestanten der Donauweg nach Ungarn, das Land mit der vielversprechenden Erde, geöffnet.

Schwaben und Osmanen. Die Krautrouladen Maria Heims sind nicht mit ganzen Blättern, sondern mit dünn geschnittenem Kraut bedeckt. Ihre Stube ist warm, die Möbel sind mit viel Spitze dekoriert. Warum Óbánya? Auch sie hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Das Dorf liegt nicht direkt am Fluss (die Stadt Baja an der Donau ist 50 Kilometer entfernt), sie liegt aber mitten in der „Schwäbischen Türkei“; hier, zwischen Plattensee und Donau, wo zuerst die Osmanen herrschten, bevor die „Schwaben“ kamen, lebten seit dem 19. Jahrhundert die meisten Ungarndeutschen. In Óbánya dürften Heims Vorfahren im Glasgewerbe tätig gewesen sein. Die aus der Erde ausgegrabenen Glasbrocken dienen als Beweis, so auch der deutsche Name der Stadt, Altglashütte.

Die meisten Kolonisten waren Handwerker und vor allem Landwirte. Sie brachten ihre Kenntnisse über die Dreifelderwirtschaft mit, bauten Klee zur Säuberung der Felder an, später dann Wein. Ihr wichtigstes Motiv auszuwandern war der soziale Aufstieg, der in ihrer Heimat nahezu unmöglich war. Schnell wurde den Kolonisten Fleiß und ökonomisches Geschick nachgesagt, vielleicht auch Scharfsinn, wie aus einem Fachbuch für Weinbau aus dem Jahr 1919 zu entnehmen ist: „Wein und Weiber führen den Waisen auf Abwege; darum lässt er sein Erzeugnis von anderen genießen, trägt den Erlös zur Sparkassa, und macht von der heimischen Gottesgabe nur ganz wenig Gebrauch.“ Auch Heims Vorfahren haben einen Hof bewirtschaftet, ein paar Gehminuten dorfauswärts, wo heute eine neue, im Winter geschlossene Gastwirtschaft steht.

Ihre deutsche Identität sei ihr immer wichtig gewesen, erzählt Heim. Sie leitet jenen Lesezirkel, den die Dorfbewohner in den 1920er-Jahren gründeten, zur Pflege von Kultur und Brauchtum. Märchen lesen, „Patschka“ – Patschen – stricken und Partnerschaften mit Städten in Deutschland und Österreich pflegen. Bei ihr zu Hause, sagt Heim, habe man immer Deutsch gesprochen. Als ihre Mutter verstarb, habe sie gerade einmal ein paar Brocken Ungarisch gekonnt. Während Maria Heim selbst zweisprachig aufwuchs, „sprechen unsere Kinder kaum Deutsch“. Rund 20 zweisprachige Volksschulen (deutsch-ungarisch) gibt es heute in Ungarn, Anfang der 1980er-Jahre waren es noch über 50. Immer weniger junge Leute interessieren sich für ihre deutsche Herkunft, heißt es.

Viele Ungarndeutsche ließen ihre Namen bereits im 18. Jahrhundert magyarisieren, als im Rahmen der Magyarisierungspolitik der Druck auf die Bevölkerung sukzessive zunahm. Dieser Druck dürfte auch eine große Rolle gespielt haben, als sich Nazideutschland anschickte, die „volksdeutsche“ Bevölkerung außerhalb Deutschlands aktiv in ihre Politik miteinzubeziehen.

„Deutsche Jugend“. Schon im Jahr 1933, nach Hitlers Machtergreifung, formierte sich in Ungarn die „Volksdeutsche Kameradschaft“, die später im „Volksbund der Deutschen in Ungarn“ aufging. Waren die bisherigen Vereine von Ungarndeutschen eher folkloristischer Natur mit Bekenntnis zum ungarischen Staat, änderte sich das schlagartig. Mit dem Volksbund entstanden auch in Ungarn Organisationen, die mit jenen in Deutschland vergleichbar waren („Deutsche Jugend“ als Pendant zur „Hitlerjugend“). Der Eintritt in die Waffen-SS wurde nach Kriegsbeginn aktiv beworben. Beruhte er zunächst auf Freiwilligkeit, konnte später von freiwillig nicht mehr die Rede sein.

Viele Ungarndeutsche verhielten sich skeptisch bis ablehnend gegenüber den Nationalsozialisten, die (sozialdemokratischen) Arbeiter zum Beispiel, die katholische Jugendbewegung, Handwerker und Bauern, die eine politische Vereinnahmung ablehnten. Wie viele Gegner und Befürworter es gab, lässt sich kaum erfassen. 1941 dürfte der Volksbund rund 60.000 Mitglieder gehabt haben, die Zahl verdreifachte sich im Jahr danach (1941 lebten knapp 480.000 Ungarndeutsche in Ungarn und den Nachbarländern).

Als Maria Heims Vater nach dem Krieg – der Wehrmachtssoldat hatte die sibirische Kriegsgefangenschaft überlebt – nach Hause kam, fand er seine Familie zwar vollzählig vor, ihr Hof gehörte allerdings nicht mehr ihnen. Kurz nach Kriegsende begann die Verfolgung und Enteignung der Ungarndeutschen (1946–48); verfolgt wurden jene, die von den Kommunisten als „Landesverräter, Kriegsverbrecher und Faschisten“ erklärt wurden, also Mitglieder des Volksbundes und der Waffen-SS, jene, die ihre magyarisierten Namen wieder eingedeutscht hatten und jene, die ihre Treue zu Ungarn nicht explizit unter Beweis stellen konnten. Bis zum Ende der Vertreibungen hatte die Hälfte der Ungarndeutschen das Land verlassen oder wurde vertrieben, viele wurden zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt.

Über den Krieg und die Zeit danach sprach man kaum, sagt Heim. Erst zögerlich habe man öffentlich wieder Deutsch gesprochen und sich selbst wieder als Ungarndeutsche bezeichnet. Seit ihrer Pension lese sie viel. Bücher über den Krieg und die Zeit danach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2013)

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