Soll ich mich neu erfinden oder umoperieren lassen?

Mein Lieblingspsychiater hat meine Befunde ausgewertet: Bitte, ich kann auch so altmodisch bleiben, wie ich bin.

Man hört etwas und denkt sich nichts. Zum Beispiel höre ich, dass heuer in Rio und São Paulo das heißeste Event todschicke Transgender-Models sind, welche die Catwalks der Brazil's Fashion Week auf und ab stöckeln. Na schön, denk ich mir, als ich meinen Vollmops Paul äußerln trage, und sonst denk ich mir nichts, während Paul sich unter einem Haselnussstrauch, von dem gelbe Frühlingskätzchen baumeln, himmlisch erleichtert.

Dabei hat Pauls Blick etwas – man muss schon sagen – regelrecht Metaphysisches. Es ist, als ob er mir mit seinen allerliebsten Basedow'schen Äuglein, aus denen eine Tiefe hervorschimmert, die etwas – man kann das gar nicht anders ausdrücken – Ewigkeitsbuddhistisches an sich hat, bedeuten wollte: Es ist, wie es ist, und es ist gut. Das tröstet mich, und ich denk mir nichts und bin zufrieden, und ich trage meinen Paul zärtlich nach Hause.

Dort beginnen, kaum dass sich meine Schlüssel in meinen drei Sicherheitsschlössern drehen (weil: Sicher ist sicher, nicht wahr?), meine Meerschweinchen Fritzi & Fratzi dringlich zu pfeifen. Denn da sie praktisch die ganze Zeit über mit dem Mund voller Biokörndln in ihren vollen Futterschüsselchen den Schlaf der Gerechten geschlafen haben, erwarten sie nun weltinnig ihr Biokräuselpetersilienleckerchen, das ich ihnen, nachdem ich es in lauwarmem Wasser geschwenkt habe, täglich serviere.

„That's the way it is“, denk ich mir heiter, denn so hab ich's erst neulich im Fashion-TV gehört, und das erinnert mich plötzlich daran, dass ich mich, ohne mir eigentlich etwas zu denken, bei meinem Lieblingspsychiater erkundigen wollte, was es mit diesem Transgender-Chic auf sich hat. Man will ja auf der Höhe der Zeit bleiben, und wer weiß – vielleicht ist das ja etwas, was man selbst einmal versuchen sollte. . . Gleich läutet mein Handy und, entsprechend dem vom Philosophen Leibniz entdeckten Gesetz der prästabilierten Harmonie (und nein, lieber beunruhigter Leser, es heißt nicht „prästabilisiert“), ist auch schon mein Lieblingspsychiater in der Leitung.

Bevor ich ihn noch fragen kann, ob der Transgender-Chic vielleicht etwas für mich wäre, teilt er mir mit einem vorösterlich messianischen Unterton in seiner ansonsten perlenden Stimme mit, dass er jetzt meine Befunde aus den letzten Jahrzehnten gründlich ausgewertet habe und dabei zu folgendem mich betreffenden Ergebnis gekommen sei: „Neu erfinden oder umoperieren lassen!“ So etwas macht natürlich neugierig, oder? Trotz des bereits enorm dringlichen Pfeifens meiner Meerschweinchen frage ich also, die Biokräuselpetersilie im lauwarmen Wasser schwenkend, was er, mein Lieblingspsychiater, mir raten würde: Soll ich mich neu erfinden oder doch lieber umoperieren lassen? Womöglich gleich transgendern, na. . .?

Da lacht mein Lieblingspsychiater sein perlendes Lachen (um seine perlweißen Zähne zu zeigen, die ich leider übers Handy gar nicht bewundern kann) und doziert, es sei eben hier und jetzt ein psychiatrisches Must-have, demzufolge man sich neu erfinde oder umoperieren lasse. Aber bitte, wenn mir nichts daran läge, mich auf der Höhe der Zeit zu bewegen, wäre es immerhin denkbar (obwohl altmodisch, ja, geradezu ein No-go), dass ich einfach bliebe, wie ich bin. Auch nicht schlecht, denk ich mir, und beeile mich, das reichlich gewässerte Biokräuselpetersilienleckerchen zu servieren, damit Fritzi & Fratzi, ihre reizend wuscheligen Bäuchlein himmelwärts gestreckt, in ihren vollen Futterschüsselchen endlich weiterschlafen können. . .


E-Mails an: peter.strasser@uni-graz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2013)

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