Migration: Flucht in den Norden beunruhigt Wien

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Deutschland will Missbrauch von Sozialleistungen durch Rumänen und Bulgaren bekämpfen - Österreich schließt sich "präventiv".

Brüssel. Seit Jahresbeginn gilt für Rumänien und Bulgarien die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit – und spätestens seit diesem Zeitpunkt schrillen in Deutschland die Alarmglocken. Denn die deutschen Gemeinden fürchten sich vor einem massenhaften Zustrom von Rumänen und Bulgaren, die zwar keiner Arbeit nachgehen, dafür aber alle Sozialleistungen in Anspruch nehmen wollen.

Bisher musste ein Neuankömmling aus Südosteuropa nach spätestens drei Monaten nachweisen, dass er selbstständig berufstätig ist. Konnte er das nicht, musste er in seine Heimat zurück. Diese Beschränkung gibt es nun nicht mehr – was Angst vor einer sintflutartigen „Armutsmigration“ vor allem von Roma und Sinti aus Rumänien und Bulgarien schürt.

Nach Berechnungen von Hans-Werner Sinn, Chef des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, übersteigen die Hartz-IV-Zuwendungen für eine mehrköpfige Familie das rumänische Durchschnittsgehalt. Sollten diese Zuwanderer die Sozialleistungen in vollem Umfang nutzen, sei mit „unglaublichen Folgen“ für die Kommunen zu rechnen, warnt auch Guntram Schneider, der Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen. Deutsche Medien beziffern die Zahl der rumänischen und bulgarischen Armutsmigranten mit 180.000 pro Jahr – Tendenz steigend.

Damit es nicht so weit kommt, wird Berlin nun auf europäischer Ebene aktiv. Am Rande des Rats der EU-Innenminister in Brüssel am gestrigen Donnerstag kam es auf Initiative der deutschen Regierung zu einem informellen Treffen von vier Ressortchefs, bei dem über mögliche Maßnahmen gegen diesen „Missbrauch von Sozialleistungen“ diskutiert wurde. An dem Gespräch teilgenommen hatten nach deutscher Auskunft Minister jener Länder, die im ähnlichen Umfang von dem Problem der Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien betroffen seien. Neben Hans-Peter Friedrich waren es die Innenminister Großbritanniens und der Niederlande – sowie Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Dass auch die österreichische Ressortchefin an dem Treffen teilgenommen hat, kommt einigermaßen überraschend – denn Österreich ist nicht mit dem Problem konfrontiert, wie Mikl-Leitner gestern Nachmittag bestätigt hat: „Wir kennen dieses Phänomen nicht. Mir ist aber lieber, dass wir uns damit präventiv beschäftigen.“

Welche Schritte sind geplant? Zunächst einmal solle geprüft werden, wie EU-Gelder besser eingesetzt werden können, um die Lage vor Ort zu verbessern und den Anreiz zum Umzug zu verringern. Laut Mikl-Leitner hat die Kommission eine „klare Aufforderung“ erhalten, sich Maßnahmen einfallen zu lassen. Brüssel spricht hingegen von einem „Nichtproblem“.

Warten auf Schengen

Sollte dies keine Erfolge zeitigen, will Berlin andere Register ziehen: Wer nur nach Deutschland komme, „um Sozialleistungen zu kassieren“, müsse davon abgehalten werden, sagte Friedrich im Vorfeld des Treffens. Wie? Etwa durch eine „Wiedereinreisesperre für diejenigen, die wir zurückgeschickt haben“. Das jüngste deutsche Veto gegen den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur Schengenzone sei aber nicht als Sanktion in dem Kontext zu verstehen, sondern als unbeabsichtigte zeitliche Koinzidenz, hieß es aus deutschen Diplomatenkreisen. Die Entscheidung über die Schengen-Reife der beiden Länder wurde von den Ministern auf Dezember 2013 verschoben – man wolle Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung abwarten.

Bei dem Treffen ging es auch um die geplante Vorzugsbehandlung von Besuchern aus Drittstaaten an den Schengen-Grenzen, die sich vor ihrer Einreise registrieren lassen. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen häufige Gäste in den Genuss einer beschleunigten, automatisierten Kontrollprozedur kommen. Mikl-Leitner zeigt sich skeptisch: „Ich glaube, dass die Zahl der Vielreisenden überschätzt wird.“ Daher solle das System, das 1,1 Mrd. Euro kosten dürfte, nur punktuell eingeführt werden.

Auf einen Blick

Die Entscheidung über den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur Schengenzone wurde auf Dezember 2013 verschoben. Die EU will Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung abwarten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2013)

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