In Kilb bei Mank bei Melk. Panne

„Lieber Gerhard, Gott ja, bitte versteh mich Trottel! u. verzeih!“ Erstmals veröffentlicht: aus dem Briefwechsel zwischen Thomas Bernhard und Gerhard Fritsch.

Gerhard Fritsch gehörte zu den ältesten Freunden und frühestenFörderern Thomas Bernhards.Die beiden begegneten einander erstmals 1954 in Wien (Bernhard war 23). Fritsch, Wiener des Jahrgangs 1924, hatte eine zentrale Rolle in der literarischen Öffentlichkeit Österreichs inne: als Lektor, Bibliothekar, Redakteur („Wiener Bücherbriefe“, „Wort in der Zeit“, „Literatur und Kritik“). Auch als Juror setzte er sich für Thomas Bernhard ein (Wildgans-Preis). 1956 wurde Fritsch einem größeren Publikum bekannt durch seinen ersten Roman, „Moos auf den Steinen“; 1967 folgte der Roman „Fasching“. Gerhard Fritsch nahm sich im März 1969 das Leben.


Krk 30. III. 56
Lieber Gerhard Fritsch,
es geht sich so aus, daß ich erst am 15. April zurückkomme. Also Sonntag nicht für mich freihalten. Können wir das Marchfeld Mai/Juni (?) nachholen? Ich bin ganz weg von Europa. Es ist herrlich, so nah zu sein den ganz einfachen Menschen, die von keinem Bildschirm verblödet sind. Die Küste istweiß, blau das Meer. Ich esse Ziegenkäs u. gehe so 30 km über den Karst am Tag. Dann lieg ich u. schau ins Meer u. lese den Dr.Mehlmann [Figur in Fritschs Roman „Moos auf den Steinen“]. Das ist eine sonderbare, herrliche Stimmung. Aber, ich hab zu wenig Bücher mit – In der Früh schreib' ich meine Verrücktheiten. Jetzt will ich ein Stück durch Kroatien. Ich melde mich am 16. vormittags in d. Bibliothek. Geht die Lesung (ich freue mich sehr drauf!) in Ordnung? Eine Nachricht bitte an Th. B. Hotel Miramar, Lovran, Jugosl.
Viele Grüße, alles Gute, Erfolg f. d. Moos...
Thomas Bern.


Wien, am 9. Sept. 1961.
Lieber Thomas,
ich muß sagen, daß schon eine ziemliche Weile nichts von Dir zu hören war. Ebenso, daß mir das auch leid tut. Von Otto Müller erhielt ich neulich das Manuskript eines neuen Gedichtbandes von Dir, worüber ich gerne mit Dir reden möchte [„Frost“-Gedichtmanuskript]. Noch dringender ist dies im Fall „Tamsweg“, da der Stiasny Verlag diesen Band 1962 bringen will und ich diese Bindungen fixieren möchte. Oder hast Du damit schon wieder anderes vor? [Das Erzählmanuskript wurde nicht publiziert.] Ich weiß nicht, wo Du Dich im Moment aufhältst, schreibe aber auf gut Glück an die Döblinger Adresse. Ich habe lange gewartet, daß Du Dich telefonisch rührst, da es so ausgemacht war. Wir waren die meiste Zeit in Wien, sind aber zwischen 22.9. und 7.10. und ab 29.10. dann ca. vier Wochen nicht daheim [Barbara Nestel von Eichhausen, dritte Ehefrau von Gerhard Fritsch]. Solltest Du jetzt in Wien sein, ruf am besten gleich an.
In Salzburg wurde mir neulich – brühwarm –erzählt, du hättest meine Auswahl Deiner Gedichte in „Wort in der Zeit“ blöd gefunden und das Heft wütend an den Verlag zurückgeschickt. Ich weiß nun nicht, ob das wahr ist. Wenn ja, find ich es etwas komisch, da ich diese Gedichte mit Dir gemeinsam ausgesucht habe.
Laß bald von Dir hören und sei herzlich gegrüßt
vom Gerhard F.


Bonn, 18. IX. 1961
Lieber Gerhard,
danke für Deinen mir nachgeschickten Brief!Zuerst muß ich Dir sagen, daß ich Dich immer gern habe und immer gern gehabt habe und Dich weiterhin gern haben werde, besonders, recht gern!
Ich habe immer gehofft, Du würdest mich einmal anrufen, nachdem immer ich Dichangerufen habe! das hätte mich natürlich besonders gefreut!
Du bist verstimmt und ich versuche, diese Verstimmung wegzuwischen: mit Dr. Moissl [Lektor im Otto Müller Verlag, Salzburg] hat folgendes „Gespräch“ stattgefunden:
Dr. M.: ah, da hab ich ihre Gedichte imW.i.d.Zt. [„Wort in der Zeit“] gelesen!
ich: aso!?
Dr. M.: die haben mir gut gefallen!
ich: zu blöd ... (ärgerliches Gesicht, weil mirdie Sachen damals im Moment, und auch jetzt noch immer, nicht gefallen haben)
Dr. M.: die hat doch der Gerhard Fritsch ausgewählt?
ich: ja, zu blöd, nicht gut ausgewählt, zu blöd, ich hab mich recht geärgert!
Dr. M.: geht auf ein andres Thema über ...
Nun, so beinah im Wortlaut, wars! Da ich kein Funzerl Bösartigkeit in dem, was ich gesagt habe, wahrgenommen habe, und ich weiß, daß ich Dich und den Dr. Moissl und der Dr. Moissl Dich und mich gern hat, und beide kennt, gut kennt, hab ich mir bei der Sache nichts gedenkt! hätt ichs bösartig oder ganz ernst gemeint, hätt ichs ihm nicht gesagt, das ist klar. Nun? Du solltest mich kennen, wie mir vor meinen Sachen immer wieder graust, das sagt aber gar nicht, daß ich garnichts mehr von ihnen halte, nein, sie sind mir einfach zeitweilig vergraust und ich geb das von mir: für die, die mich, wie ich glaube (auch bei Dir!) verstehen; ungefähr sehen, wie ich bin, wo ich dahinschwimme, wie ich mich herumschlage, was für ein Trottel ich bin... Das ist alles natürlich nicht für die Öffentlichkeit, also andere, außenstehende Leute, bestimmt.
Also ich hab Dich sehr gern, lieber Gerhard – gekränkt hat mich immer, daß Du mich nie angerufen hast – ich wiederhol diese Kränkungsäußerung!
Nun? Wenn ich gesagt hab: blöd! so hat sich das im Moment restlos auf mich, auch auf Dich, aber schließlich auf keinen von uns beiden bezogen! Gott ja, bitte versteh mich Trottel! u. verzeih, daß ich den lieben Dr. Moissl, der mir immer ein KUMPAN schien, !, einbezogen habe!
Ich komme vor Ende September nach Wien, habe viel zu arbeiten, da könnten wir uns ausreden, treffen, ich Dich und Deine Frau!
Ich wüßte gern, wie es Dir geht.
Für die Verse in W.i.d.Zt. dank ich Dir, ich bin nie glücklich, wenn was erscheint, aber ich freu mich doch sehr, das ist eine unbegreifliche, komische, desparate Mischung, Du sollst mich nie bös nehmen, ich bitte Dich, und meine „unglückliche Hand oft“ verschmerzen! Nimm mir nicht Deine Freundschaft und radier auch das F. nach Deinem Gerhard aus!
Dein (Euer) Thomas


Graz, am 8. 12. 65
Lieber Thomas,
wo steckst Du? Angeblich in Wien, rühr Dich doch wieder einmal, ab 20. 12. bin ich wieder daheim, jetzt sitz in Graz und schreib am „Fasching“ (die vierte und vielleicht doch letzte Fassung [erschienen im Rowohlt Verlag, 1967]) und schreib Dir einen Brief, weil ich was will und Dich schön bitt, es zu gewähren: Mit dem Breicha (für bildende Kunst) mach ich eine Anthologie, die kein Wischiwaschi und kein Sozialunternehmen zur Ehrgeizbefriedigung von Gunertu. Co sein soll. Titel „Protokolle“, eine Art Wiener „Jahresring“ (also jedes Jahr), nur wenige Autoren mit – bis Juni 66 (Erscheinungstermin) – ungedruckten Sachen. Ich hätte gern die Bahnhof-Geschichte (Kattowitz), von der Du mir einmal erzählt hast. Ich nehm auch was anderes, gern auch ein Romankapitel. Es kann bös, aggressiv usw. sein – was Du willst. Umfang bis 15 Maschinseiten, ev. auch, etwas, länger [„Die Mütze“, „Protokolle“ 1966]. Schick mirs bitte an die Wiener Adresse oder treffen wir uns, was ich gerne tät nach Weihnachten. Termin für das Manus ist etwa der 15. 1. 66 *
Im übrigen hoffe ich, daß es Dir gut geht, natürlich auch bei der Arbeit.
Sehr schöne Grüße
von Deinem Gerhard.
* Honorar nicht undeutsch –
Das Ding erscheint bei Jugend u. Volk, es redet aber niemand drein.


Obernathal 26. 6. 1966
Lieber Gerhard,
ich habe, weil ich gar so schnell nachhaus wollte, bei Melk eine Autopanne gehabt und bin drei Tage in Kilb bei Mank, das Dir kein Begriff sein wird, gewesen, zuschauend, wie ein sehr guter Mechaniker mein Auto (die Kupplung war aufeinmal total kaputt) völlig auseinandernimmt und wieder zusammensetzt, nachdem Teile aus Wien geholt haben werden müssen.
Die Ironie will es, daß ich gerade jetzt, wo ich jeden Groschen auf den Knien bitte, bei mir zu bleiben, zusätzliche Tausende an das Phantom des Technischen Zeitalters zu zahlen habe.
Es ist alles zum Lachen und wird mich nicht umbringen. Natürlich habe ich das Romanstück nicht schicken können, weil ich nur zwei Nachtstunden vor München in Nathal gehabt habe. Aus München habe ich nichts als schauerliche Eindrücke mitgebracht. Eine Seminararbeit über Amras, die mir am besten Gefallen hat, habe ich für die Zeitschrift bei Moissl gelassen, der schickt sie nach Wien, sie hat ihm gefallen.
Aber für September suche ich ein gutes Kapitel aus dem Roman aus [„Verstörung“, „Literatur und Kritik“ 1966, Heft 6].
Lieber Gerhard, sei wie Du bist und bleib so, manche Schwäche – Du weißt, was für welche! – verzeih ich Dir, weil ich Dich so gut kenne, wie Du mir ja auch die meinigen läßt.Deinem Georg sag meinen Dank für die Sympathie, die er für mich übrig hat, ich erwidere derartiges auf die ungeschickteste Weise. Ich hab einen großen Schwung und die Resignation ist durch die kalte deutsche Intellektuellendusche (Deutschland als Kornkammer des perversen Stumpfsinns betrachtet) dahin.
Servus, bleib nicht stumm
Thomas

13. 2. 1968
Lieber Thomas,
1. herzlichsten Glückwunsch zu den längst fälligen zwei österreichischen Preisen! [Österreichischer Staatspreis 1967, Anton-Wildgans-Preis 1968]
2. Schreib doch bitte einmal, wann Du in Wien bist oder ruf wenigstens an, damit wir uns endlich einmal wiedersehen! Ich jedenfalls hab großen Bedarf danach.
3. Möchte ich sehr gerne und sehr bald etwas für LITERATUR UND KRITIK, das ich jetzt nach Kruntorads Abgang zum NEUEN FORUM mit Jeannie Ebner mache. Der Text kann bis zu zwanzig Maschinseiten lang sein.
4. Hat mich gerade Schlocker aus Paris angerufen, der heuer das Konstanzer Gespräch organisiert. Er wird Dir in dieser Sache selber schreiben, daher kann ich mich kurz fassen: Unter dem Thema „Moderne Literatur – eine Provokation?“ sollen da am 9. und 10. April etliche Autoren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich diskutieren. Die Zuhörer sind Buchhändler und Kulturredakteure aus den drei Ländern. Teilnehmer u.a. Walser und Frisch, von Österreich sollen zwei fahren, der andere bin ich. Ich weiß ja nicht, ob Du Lust hast, meine wäre jedenfalls erheblich größer, wenn Du hinfährst. Laß mich bitte bald wissen, ob Du hinfahren willst.
5. Möchte ich gerne wissen, was Du machst, wie es Dir geht und wirklich bald einmal mit Dir reden. Dasselbe will natürlich auch Bärbel.
Sehr herzlich grüßt Dich
Dein Gerhard


[Notiz auf Rückseite folgender Briefkarte]
DIE VEREINIGUNG ÖSTERREICHISCHER INDUSTRIELLER SIEHT SICH ZU IHREM BEDAUERN VERANLASST, DIE FÜR DONNERSTAG, DEN 21. MÄRZ 1968 UM 17.30 UHR IM WIENER INDUSTRIEHAUS VORGESEHENE FEIERLICHE ÜBERREICHUNG DES ANTON WILDGANS-PREISES ABZUSAGEN.
WIR BITTEN HÖFLICHST, FÜR DIESE ABSAGE VERSTÄNDNIS ZU HABEN.
VEREINIGUNG ÖSTERREICHISCHER INDUSTRIELLER
20. 3. 68
Lieber Thomas,
das ist diese allgemeine Ausladung – ich bin sehr froh über den gestrigen Abend. Bitte schick mir – möglichst bald – einen längeren Text und Deine Adresse in Lovran.
Alles Gute! Herzlichst
Dein Gerhard
[Nach dem Eklat bei der Verleihung desÖsterreichischen Staatspreises an Bernhard wenige Tage vorher war die Preisübergabe von der österreichischen Industriellenvereinigung abgesagt worden; Bernhard bekam das Preisgeld zugesandt.] ■

BRIEFWECHSEL: Das Buch

Die Korrespondenz zwischen Thomas Bernhard und Gerhard Fritsch– annähernd 50 Briefe und Karten haben sich erhalten – wird Ende April, ediert von Raimund Fellinger und Martin Huber,
im soeben gegründeten Korrektur Verlag, Mattighofen (OÖ), herauskommen.

Der Name des neuen Verlags bezieht sich auf Bernhards 1975 erschienenes Prosawerk „Korrektur“. Das Programm des Korrektur Verlags wird in (enger
oder weiter) Beziehung zu Leben und Werk von Thomas Bernhard stehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2013)

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