Die gar nicht so heile Biowelt Österreich

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Nicht überall wo Bio draufsteht, ist nachhaltige Landwirtschaft drinnen. Nur formschöne Biogurken kommen ins Regal, Hybridhühner legen unsere Bio-Eier, räumt die heimische Branche ein. Schuld daran sei auch der Konsument.

Wien. Glücklich sehen sie aus, die Biohennen, wie sie im Sonnenschein über die grünen Wiesen tollen. Unser Bioschwein kennen wir sogar mit dem Vornamen. So sieht sie aus, die heile Biowelt, wie sie Österreichs Konsumenten aus der Werbung kennen. Doch mit der Realität hat das mitunter wenig zu tun: Statt ein paar glücklichen Biohennen scharren tausende halbnackte Hybridhühner verstört durch die Hallen. Bis zu zehn Stück pro Quadratmeter. Alles streng nach EU-Vorschrift, alles bio – nur eben weit entfernt von dem guten Gefühl, für das die Österreicher gern ein paar Euro mehr ausgeben. Wie nachhaltig sind die biologisch hergestellten Produkte wirklich? Was ist dran am Image vom „Bioland Österreich“?

Nicht viel, glaubt man Clemens G. Arvay. Der Autor von „Der große Bio-Schmäh“ hat pünktlich zum Pferdefleischskandal sein Lieblingsthema neu aufgekocht. In „Friss oder stirb“ besichtigte er mehrere Wochen lang Biobetriebe in ganz Europa. Das Fazit: Österreich ist zwar Vorreiter, was die biologisch bewirtschaftete Fläche anbelangt: Mit rund 19 Prozent hat Österreich den EU-weit höchsten Anteil an Bioflächen an der gesamten landwirtschaftlichen Fläche. Im Supermarkt ist das Bioparadies Österreich allerdings ein Mythos. Gerade einmal sechs Prozent aller Lebensmittel, die hierzulande gekauft werden, stammen aus biologischem Anbau, schreibt Arvay. In Deutschland seien es vier Prozent. Um Bioprodukte möglichst billig zu erzeugen, sei eine regelrechte Bio-Industrie entstanden, die nur wenig mit dem Idyll aus der Werbung zu tun hat, schreibt Arvay.

Vergaste Küken, krumme Gurken

Wie es dort aussieht, zeigt er etwa am Beispiel Hühnerzucht: Egal, ob es um die Produktion von Bio-Hühnerkeulen oder von Bio-Eiern geht, zum Einsatz kommen – wie in der konventionellen Landwirtschaft – fast nur industrielle Hybridhühner. Diese sind so hochgezüchtet, dass sie sich nicht einmal theoretisch biologisch vermehren könnten. Und auch die Bio-Legehennen verlieren noch am ersten Tag all ihre Brüder. Männliche Küken werden kurz nach dem Schlüpfen vergast oder geschreddert.

Was Biofleisch von konventionellem unterscheidet, sind vor allem Haltung und Fütterung. Was vor und nach dem Biohof passiert, wird ausgeblendet. Bei Gemüse ist es nicht viel anders. Zu kleine Kartoffeln, Äpfel mit Dellen, krumme Gurken – all das wird noch auf den Biohöfen aussortiert – landen großteils auf dem Kompost.

Vertreter der österreichischen Biobranche streiten die Kritik auch gar nicht ab. Rudi Vierbauch, Obmann der österreichischen Biobauernvereinigung „Bio Austria“, weist allerdings zurück, dass Bioprodukte hierzulande größtenteils industriell erzeugt werden. Die Betriebe seien fast alle klein bis mittelgroß. Dass in den großen Brutfabriken männliche Küken im Akkord getötet werden, bestätigt Vierbauch. „Das gibt es auch im Biobereich.“ Es gebe Bestrebungen, Möglichkeiten zu finden, dass man männliche Küken zur Mast verwenden kann. „Über so etwas denkt man im konventionellen Bereich nicht einmal nach.“

„Es hat vor zwanzig Jahren einen Bruch in der Biolandwirtschaft gegeben“, räumt Werner Lampert ein, Gründer von „Ja! Natürlich“ (Rewe) und „Zurück zum Ursprung“ (Hofer). Bio gehe heute stark in Richtung konventionelle Nahrungsmittelproduktion. Den Einsatz von Hybridhennen, der auch bei seinen Marken gang und gäbe ist, hält er für den „vollkommen falschen Weg“.

Allerdings sieht Lampert auch wenig Alternativen. Würden alle Bauern auf alte Rassen wie Sulmtaler Hühner umsteigen, wäre die Versorgung in frühestens 20 Jahren wieder gewährleistet. Der Preis wäre zehn Mal so hoch, „das Huhn würde vom Tisch der Konsumenten verschwinden“.

Die Kritik seines früheren Mitarbeiters Arvay an seiner Person versteht Lampert nicht. Er leitet das Qualitätsmanagement der Hofer-Biomarke „Zurück zum Ursprung“. Gleichzeitig beliefert sein Csardahof den Diskonter Hofer mit Biogemüse. Kontrolliert Lampert sich selbst?, fragt Arvay. „Wir werden natürlich von staatlichen Stellen geprüft, wie alle anderen auch“, antwortet Lampert.

„Bio ist nicht das Paradies“

„Bio ist nicht das Paradies“, räumt Lampert ein. Aber nicht immer seien es die „Großen“, die Industrie und der Handel, die positive Veränderungen verhindern. So stimme es etwa nicht, dass sich der Handel auf formschönes Biogemüse versteifen würde. „Ich habe oft probiert, auch krummes Biogemüse in die Supermärkte zu bringen. Gescheitert bin ich nicht am Handel, sondern an den Konsumenten.“

Auf einen Blick

„Friss oder Stirb“ heißt das eben erschienene Buch von Clemens G. Arvay (Ecowin-Verlag). Darin kritisiert der gebürtige Grazer (Jg.1980) die Praktiken in der heimischen Biobranche.

Experten räumen ein, dass sich Bio in Österreich in Richtung konventionelle Landwirtschaft entwickelt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2013)

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